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Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn
Autoren: Klaus Wanninger
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seinen Versuch. Er schaute nach oben, hörte und sah keine Reaktion. »Gut. Wir gehen rein.«
    Der Techniker nahm seinen Schlüsselbund, hatte die Tür nach wenigen Sekunden geöffnet. Er drehte sich um, zeigte ein triumphierendes Lächeln.
    Braig bat den Anwalt, auf der Straße zu warten, stieg mit Seibert und Schöffler die Stufen hoch. Als sie vor der Wohnungstür angelangt waren, signalisierte er den Kollegen, ruhig zu sein, lauschte auf Geräusche aus der Wohnung. Außer mehreren auf der Straße vorbeifahrenden Autos war nichts zu vernehmen. Er wartete einige Sekunden, trat dann von der Tür weg, zog seine Pistole. Seibert beugte sich kurz zu dem Schloss nieder, zog zwei der Schlüssel vor, machte sich mit beiden daran zu schaffen. Im gleichen Moment hörte Braig die Schritte in der Wohnung. Er sprang nach vorne, drückte Seibert zur Seite, presste sich mit gezückter Pistole an den Türrahmen. Die Schritte im Inneren kamen näher, dann wurde die Tür geöffnet. Emilie Herzog stand vor ihnen, schaute erschrocken auf Braigs Waffe.
    »Mein Gott, wollen Sie mich erschießen?«
    Braig atmete tief durch, steckte seine Waffe weg, starrte die Frau fassungslos an, kaum fähig, ein Wort zu äußern. »Wir, wir haben mehrfach geläutet«, stammelte er, »warum melden Sie sich nicht?«
    Sie zeigte ins Innere der Wohnung, bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, ihr zu folgen. »Ich hatte noch etwas zu erledigen.«
    Er ließ seine Kollegen stehen, folgte ihr durch die Diele in den Raum, in dem sie ihn schon zweimal empfangen hatte. Sie bot ihm einen Platz auf dem samtroten Ecksofa an, setzte sich in den breiten Sessel, wies auf eines der Blätter auf dem Glastisch. Braig nahm das Papier in die Hand.
    Änderung meines Testaments
    Ich, Emilie Herzog, geb. am 30.1.1928, verfüge eine Änderung meines Testaments. Im Fall meines Todes vermache ich Swetlana Camiszewicz 200.000 Euro. Ihre vollständige Adresse findet sich auf einem gesonderten Blatt
.

    Braig hatte den Text überflogen, schaute überrascht auf. »Darf ich fragen, weshalb?«
    Emilie Herzog warf ihm einen kritischen Blick zu. »Sie waren bei Swetlana? Dann wissen Sie Bescheid.«
    Er zögerte mit seiner Antwort. »Worüber soll ich Bescheid wissen?«
    »Ich kann nichts für die Taten meines Sohnes«, erklärte sie, »ich war völlig vor den Kopf gestoßen, als Swetlana mir alles erzählte. Ich wusste nichts davon, Sie müssen mir glauben.«
    Braig spürte, dass er an einer entscheidenden Stelle seiner Ermittlungen angelangt war. »Die Taten Ihres Sohnes«, sagte er, »was hat Swetlana Ihnen erzählt?«
    »Sie haben nicht alles verstanden, weil Ihr Deutsch so schlecht ist, ja?« Sie nickte verständnisvoll mit dem Kopf. »Mir ging es genauso. Sie musste alles mehrfach wiederholen, bis ich es begriff.« Emilie Herzog schluchzte laut.
    Braig gab keine Antwort, ließ ihr die nötige Zeit, sich zu sammeln.
    »Swetlana lernte meinen Sohn vor mehreren Monaten kennen.«
    »In Krakau?«
    Emilie Herzog nickte. »Ja, er war beruflich dort. Für das Mädchen war er eine Verheißung. Eine Verheißung auf ein besseres Leben, weg aus der Armut und der Hoffnungslosigkeit.« Sie machte eine Pause, schaute ihn bittend an. »Wenn ich Sie um ein Glas Wasser bitten dürfte?«
    Er stand auf, ging in die Küche, kam mit einem gefüllten Glas zurück.
    »Danke.« Sie trank hastig. »Wissen Sie«, begann sie von Neuem, »Besucher aus dem Westen erscheinen da wie Millionäre. Kein Wunder, dass junge Frauen oft der Versuchung erliegen, sich mit Deutschen einzulassen. Ich will nicht spekulieren, wie viele unserer Landsleute diese Notlage ausnützen. Das wissen Sie besser als ich.«
    »Ihr Sohn gehörte auf jeden Fall dazu.«
    »Gemeinsam mit diesem Wulf, ja. Wie und wann sie sich kennen lernten, weiß ich nicht. Ihr gemeinsames Interesse verband sie. Wie Swetlana erzählte, waren sie ein perfektes Gespann: Junge Frauen umgarnen und ihnen Versprechungen machen. Mit ihrem Geld hielten sie sie frei. Swetlana glaubte an die große Liebe, die mein Sohn ihr versprach. Können Sie es ihr verübeln? Sie ist gerade mal einundzwanzig. Waren Sie in dem Alter nicht auch schnell entflammt? Sie waren nicht einmal zwei Monate zusammen, als sie ihn mit einer anderen traf: Sie wollte Schluss machen, war untröstlich, ließ sich aber doch noch von ihm umstimmen – so dumm, wie junge Dinger eben sind. Ein paar Wochen später muss das mit ihrer Schwester passiert sein.«
    »Eva?«, fragte er.
    Emilie Herzog nickte.
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