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Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn
Autoren: Klaus Wanninger
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Fotos?«, fragte Neundorf.
    Braig sah die S-Bahn unter der Straßenbrücke auftauchen. »Mein Zug kommt«, sagte er, »ich gebe dir Bescheid, sobald ich Neues weiß.« Er war froh, dass er das Gespräch beenden konnte, fühlte sich von der Ankunft der S-Bahn vom Zwang befreit, sein Gehirn weiter mit unlösbaren Fragen martern zu müssen.
    Der Zug bremste ab, kam zum Stehen. Braig lief zur nächsten Tür, wartete, bis eine auffallend dicke Frau ausgestiegen war, suchte sich dann einen Platz. Er fand eine Sitzgruppe, in der nur ein älterer Mann saß, grüßte freundlich, setzte sich dem Mann gegenüber, schloss für einen Moment die Augen. Wenn es auch nur zwei Stationen bis Fellbach waren, wollte er die Gelegenheit dennoch nutzen, seine Gedanken zu beruhigen. Er hörte, wie der Zug das Tal der Rems überquerte, nahm die Geräusche wahr, als sie in den Waiblinger Bahnhof einfuhren. Reisende standen auf, liefen zu den Türen, verließen den Zug, andere stiegen ein. Als die Ansage Fellbach ankündigte, schlug er die Augen wieder auf, erhob sich von seinem Platz. Seine Gedanken hatten sich nur notdürftig beruhigt. Wieso hatte sich die junge Frau in einer Wohnung aufgehalten, deren Schlüssel von Emilie Herzog verwahrt wurden?
    Er verabschiedete sich mit einem Kopfnicken von seinem Gegenüber, trat auf den Bahnsteig. Kalter Wind schlug ihm entgegen. Er hüllte sich in seine Jacke, lief die Treppen abwärts, eilte durch die Unterführung. Das Mädchen! Einmal lebend, einmal tot!? Gab es einen Zusammenhang mit den Morden an Herzog und Wulf?
    Braig verließ den Fellbacher Bahnhof, spurtete auf dem Zebrastreifen über die Straße, weil ein Auto ohne abzubremsen auf ihn zuraste. Er suchte festen Halt auf dem Gehweg, winkte dem rücksichtslosen Fahrer mit geballter Faust hinterher, notierte sich das Kennzeichen. Sein Herz pochte heftig, seine Hände zitterten. Nur langsam kam ihm zu Bewusstsein, in welcher Lebensgefahr er sich gerade befunden hatte. Er blieb stehen, rief im Amt an, erstattete Anzeige. Der Kollege versprach, sich sofort darum zu kümmern.
    Als er sich etwas beruhigt hatte, lief er weiter, bog in die Esslinger Straße ein. Bis zu Emilie Herzogs Haus waren es nicht einmal hundert Meter. Er näherte sich dem Gebäude, sah schon von weitem einen Mann auf dem Gehweg stehen. Er lief an ihm vorbei auf die Tür zu, grüßte, drückte auf die Klingel.
    »Sie wollen zu Frau Herzog?«, fragte der Mann. Er war um die fünfzig, von großer, fast hagerer Gestalt, trug einen langen, hellen Sommermantel, hielt eine Ledermappe in der Hand.
    »Sie auch?« Braig bemerkte keine Reaktion auf sein Läuten, wiederholte den Versuch.
    »Sie scheint nicht da zu sein«, sagte der Mann, »obwohl ich einen Termin bei ihr habe.«
    »Wann? Heute Mittag?« Braig zog seinen Ausweis vor, nannte seinen Namen und seine Funktion.
    »LKA? Sie kommen wegen Karl Herzogs Tod.« Sein Gesprächspartner schien sich seiner Sache sicher, formulierte den Satz im feststellenden, nicht im fragenden Ton. »Rettenmaier ist mein Name. Ich bin der Anwalt von Familie Herzog. Fünfzehn Uhr haben wir vereinbart.« Er reichte Braig die Hand, zeigte nach oben. »Das ist seltsam. Frau Herzog ist normalerweise sehr korrekt. Auch was Termine betrifft.«
    »Wann haben Sie mit ihr gesprochen?«
    Rettenmaier schaute auf seine Uhr. »Es handelt sich um eine kurzfristig vereinbarte Sache. Kurz nach eins. Ich kam gerade vom Gericht, habe nur noch schnell etwas gegessen und mich erfrischt.«
    »Vor nicht einmal zwei Stunden? Das war die Zeit, als ich kurz bei ihr vorbeischaute.«
    »Der Tod ihres Sohnes hat sie sehr mitgenommen.«
    »Das ist verständlich, denke ich. Darf ich fragen, weshalb Sie um Ihren Besuch bat?«
    Der Anwalt lachte. »Sie können Ihren Beruf nicht verleugnen, richtig?«
    Braig war nicht zum Scherzen aufgelegt, blieb sachlich. »Wir ermitteln wegen zweier Morde. Insofern interessiert mich alles, was in diesem Umfeld vorgeht.«
    »Sie sagte, sie wolle ihr Testament ändern. Heute Mittag noch.«
    »Ihr Testament ändern? Weil ihr Sohn ermordet wurde?«
    »Ich weiß es nicht. Sie schien in großer Eile. Ich fragte extra nach, ob es wirklich so schnell sein müsse, aber sie ließ sich nicht davon abbringen. Heute Mittag noch, unbedingt. Es sei etwas eingetreten, womit sie nicht gerechnet habe. Ich denke, sie meinte den Tod ihres Sohnes.«
    Braig betrachtete ihn nachdenklich, spürte, wie innere Unruhe immer stärker von ihm Besitz ergriff. »Den Wunsch, ihr
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