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Schwaben-Sumpf

Schwaben-Sumpf

Titel: Schwaben-Sumpf
Autoren: Klaus Wanninger
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Zweiten Weltkrieg zerstört. Dennoch gilt sie auch heute noch als die schönste. Überzeugen Sie sich selbst! Der Weg ist nicht weit.«
    Monika Auberlen hatte voller Freude die Sonnenstrahlen bemerkt, die vom seichten, leicht bewegten Wasser des Eckensees draußen vor der Passage hundertfach reflektiert durch die Luft flirrten, war eilends dazu übergegangen, ihre Gruppe ins Freie zu lotsen. In der Nacht hatte es lange geregnet, für das Wochenende selbst waren nur noch Reste von Schauern angekündigt.
    Sie hatte den oberen Schlossgarten gequert, war dann am Staatstheater vorbei durch die Unterführung zur Museumsmeile marschiert. Obwohl sie vor allem die Staatsgalerie privat sehr schätzte, hatte sie des nervenaufreibenden Krachs der benachbarten Bundesstraße wegen auf lange Ausführungen verzichtet, ihre Gruppe nach einer kurzen Entschuldigung vielmehr zügig zur Eugenstraße geführt, die nach wenigen Metern in die Eugenstaffel mündete.
    Wann der Ärger mit dem Mann begonnen hatte, wusste sie später nicht mehr zu erinnern. Er war um die fünfzig, auffallend wohl beleibt, mit einem schon von Weitem in die Augen stechenden grellgelben T-Shirt und kurzen giftgrünen Hosen, die gerade an seine Knie reichten, bekleidet. Viel zu dünn für die Jahreszeit und das Wetter, war es ihr durch den Kopf gegangen, als sie ihn zum ersten Mal genauer wahrgenommen hatte. Dennoch schien er nicht zu frieren, im Gegenteil; Ströme von Schweiß rannen ihm von der Stirn, als er die wenigen Stufen der Eugenstaffel bewältigt hatte. Sie war extra am oberen Ende der Treppe stehen geblieben, den über mehrere Absätze springenden Wasserfall samt der pompös ausgestalteten Anlage des Galateabrunnens, auf dessen mächtigem, mehrere Meter aufragenden Steinsockel die spärlich bekleidete Statue der Göttin Galatea thronte, über sich, hatte gewartet, bis der Mann endlich Anschluss an die Gruppe gefunden hatte. Dass von ihren Ausführungen zum Brunnen angeblich kein Wort zu verstehen war, hatte er – das Missfallen der anderen Teilnehmer erregend – erst im Anschluss an ihre mit ehrlicher Begeisterung vorgetragenen Worte in verletzend ruppigem Ton zum Ausdruck gebracht. Ohne sich den Ärger über seine ungehobelte Art anmerken zu lassen, hatte sie die Erklärungen wiederholt.
    »Sie sehen jetzt über uns eine der schönsten Brunnenanlagen Stuttgarts, den Galateabrunnen. Er wurde von der württembergischen Königin Olga gestiftet und 1890 vom Bildhauer Otto Rieth in Bronze gegossen. Galatea – ihr Name bedeutet »milchweiß« – soll der griechischen Sage nach in der Nähe Siziliens gelebt haben. Ihre Liebe galt dem jungen Hirten Akis. Als sich der Kyklop Polyphem in sie versah, warf dieser aus Eifersucht einen Felsbrocken auf den Hirten und tötete ihn. Galatea ließ unter diesem Felsen eine sprudelnde Quelle entstehen und kreierte Akis als Gott der Bäche und Flüsse.
    Wenn wir uns jetzt vollends zum Eugensplatz hoch begeben, werden Sie sehen, wie sparsam Galatea bekleidet ist. Vor allem ihr wohlgeformtes Hinterteil zeigt sich nicht von Stoff verhüllt. Genau dieser Tatbestand brachte 1890 bei der Einweihung viele Bürger Stuttgarts in Rage. Von »Unmoral« und »Jugendgefährdung« war die Rede. Königin Olga jedoch, die die Anlage gestiftet hatte, reagierte nicht so, wie es sich die ordentlichen Schwaben gedacht hatten: Sie soll vielmehr laut und deutlich den Auftrag gegeben haben, die Göttin mit ihren unverhüllten Rundungen zur Innenstadt hin postieren zu lassen, wenn noch ein einziger Kritikaster seine Stimme erhebe. Daraufhin muss es plötzlich ganz ruhig geworden sein um die Galatea, und alle, die heute auf den Eugensplatz kommen, bewundern die herrliche Aussicht auf die Stadt – genau wie die Göttin selbst.«
    Wenige Minuten später, sie hatten den Platz längst verlassen, waren dabei, die Gerokstaffel zu bewältigen, hatte der Mann mit den kurzen Hosen den Verlust seines Fotoapparates, einer alten, wertvollen Spiegelreflexkamera, bemerkt. Ohne lange zu überlegen, war Monika Auberlen zurück geeilt, hatte den Apparat am Brunnenrand entdeckt, ihn seinem Besitzer unter dem Beifall der anderen überreicht. So sehr sie sich auch bemühte, keinen Zwist in der Gruppe aufkommen zu lassen, das Verhalten des Mannes blieb nicht ohne Folgen. Jeder suchte den Kontakt mit ihm zu vermeiden. Isoliert trabte er hinter den anderen her, fand erst wieder Anschluss, als sie die Stafflenbergstraße oberhalb der steilen Klinge erreicht hatten, in
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