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Schwaben-Sumpf

Schwaben-Sumpf

Titel: Schwaben-Sumpf
Autoren: Klaus Wanninger
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Außerdem ist er schon einmal mit meinem Auto durchgebrannt.«
    Felsentretter starrte den Mann überrascht an. »Wann war das? Sie haben Anzeige erstattet?«
    »Anzeige? Ich sagte Ihnen doch, Jonny sieht in mir so etwas wie einen Ersatzvater. Der Junge ist Waise, wird von seinem Bruder erzogen. Fürchtegott, der ist selber noch ein halbes Kind. Die Eltern waren in irgendeiner Sekte. Der Bruder leidet bis heute darunter.«
    »Und der Diebstahl damals? Er ging glimpflicher aus als heute?«
    »Drei, vier Stunden war er weg. Dann kam er wieder zu mir. Freiwillig, ich hatte es gar nicht bemerkt.«
    »So wie heute Nacht auch.«
    »Falls Jonny es war, ja.«
    »Was hatte er gestern an? Ich meine abends, als er bei Ihnen war?«
    Noller warf seiner Frau einen Blick zu, überlegte. »Eine dunkelblaue Jeansjacke«, antwortete sie, »und ein grünes Sweatshirt, das trug er meistens.«
    Felsentretter nickte, kratzte sich hinter dem Ohr. »Weiße Sportschuhe«, setzte er dann hinzu, »mit drei roten Streifen, dazu helle Jeans?«
    Er sah die Tränen in den Augen des anderen, verzichtete auf weitere Fragen. Verdammte Kacke, dieser Jonny ist es.
    »Ja«, bestätigte Noller, »ja, genau das hatte er an.«

4. Kapitel
    Katrin Neundorf hatte das obere Ende der Sünderstaffel erreicht, versuchte, die Menschenmenge vor der mit einem rot-weißen Plastikband gekennzeichneten Absperrung zu passieren. Die Leute standen dicht gedrängt, das gesamte Halbrund der Stafflenbergstraße entlang, alle in die Tiefe starrend. Wohin sie auch sah, überall neugierige Gesichter: Auf dem Absatz über den beiden Treppenzugängen, am Hang über dem Sünderstein, das gesamte Eisengeländer dem oberen Rand der steilen Klinge entlang. Sie schob mehrere Gaffer energisch zur Seite, achtete nicht auf das laute Schimpfen eines Mannes, baute sich vor dem uniformierten Kollegen, der die linke Treppe bewachte, auf.
    »Hauptkommissarin Neundorf vom LKA«, erklärte sie, zeigte ihm ihren Ausweis.
    Der Beamte studierte ihn sorgsam, hob dann das Absperrband in die Höhe. »Ich will sichergehen«, rechtfertigte er sein penibles Verhalten, »vorhin versuchte ein Fotograf, uns auszutricksen.«
    Neundorf nickte ihm freundlich zu, schlüpfte unter der Absperrung durch, folgte den Stufen abwärts. Sie waren nass und teilweise glitschig, veranlassten sie, ihr Tempo zu zügeln. Sie passierte den Sünderstein, erreichte den oberen Absatz der zentralen Treppe. Der Ausblick war atemberaubend. Das Zentrum Stuttgarts lag vor und unter ihr, sie schien unmittelbar auf die Stadt zuzuschweben. Die prachtvollen Anlagen des Neuen Schlosses, der Königsbau mit der neuen Glaskuppel dahinter, weiter rechts der schlanke Bahnhofsturm.
    »Liegt do unte wirklich a dotes Weib?«, kreischte eine laute Stimme über ihr.
    Neundorf tauchte in die Realität ihres Berufes zurück, richtete den Blick auf die Personen am Fuß des oberen Treppenabschnitts. Helmut Rössle und Lars Rauleder sowie ein weiterer Mann knieten auf dem Boden, machten sich neben dem schmalen Stamm eines Nadelbaums zu schaffen. Die Zweige einer mannshoch gewachsenen Krüppelkiefer versperrten ihr die Sicht.
    Die Kommissarin tastete sich vorsichtig Stufe um Stufe nach unten, sah das Mädchen erst in dem Moment, als sie unmittelbar neben ihm stand. Sie hatte genügend Zeit gehabt, sich auf dieses Bild vorzubereiten, spürte den Schock trotzdem wie einen Schlag mitten ins Gesicht. Oh nein, schoss es ihr durch den Kopf, doch nicht so ein blutjunges Ding.
    Sie verharrte auf der Stelle, zwang ihre Augen auf den unter das tropfende Buschwerk auf die kalte Erde gebetteten Körper. Die Spurensicherer hatten die Zweige der Krüppelkiefer mit Schnüren zur Seite gebunden, gaben den Blick auf die Leiche frei. Ein hübsches junges Mädchen mit langen blonden Haaren und einem schmalen, bleichen Gesicht, vom Tod noch wenig verändert, gerade so, als habe es sich vor wenigen Minuten zum Schlafen gelegt. Sie spürte einen leichten Schwindel, holte tief Atem.
    »Kein guter Tag, Frau Neundorf.«
    Sie wandte den Blick zur Seite, sah den Arzt, der sich gerade aufrichtete, drückte seine ausgestreckte Hand.
    Sie kannte Dr. Keil seit vielen Jahren, hatte bei unzähligen Leichenfunden mit ihm zu tun gehabt. Er galt als einer der fähigsten Gerichtsmediziner weit und breit, genoss bei Ermittlern wie vor Gericht hohes Ansehen, war für seine gründliche Arbeit bekannt. Sie sah sein angestrengtes, hochrotes Gesicht, wagte nicht daran zu denken, wie viele
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