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Schwaben-Sumpf

Schwaben-Sumpf

Titel: Schwaben-Sumpf
Autoren: Klaus Wanninger
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1. Kapitel
    Ich bin mir jetzt schon sicher, dass Sie mir nicht zustimmen werden. Einen Menschen zu vernichten, ist nicht zu rechtfertigen, werden Sie sagen. Niemals. Gott hat uns das Leben geschenkt. Uns allen. Er allein hat das Recht, es uns auch wieder zu nehmen. Einen Menschen zu richten, ihn auf seine guten und bösen Taten hin zu überprüfen, bleibt dem Allmächtigen vorbehalten. Wir dürfen Gott nicht ins Handwerk pfuschen.
    Ich kann Ihre Worte jetzt schon hören. Ihr Beruf lässt Ihnen keine andere Wahl. »Überlassen Sie es Gott, unserem Herrn, ihm wird nicht einer, der anderen Böses tut, entgehen.«
    Seit es Pfaffen gibt, reden sie so weltfremd daher. Als ob es den alten Herrn irgendwo dort oben, sofern er denn wirklich existiert, je interessiert hätte, was hier unten auf diesem seltsamen Erdball geschieht. Seit Anbeginn ihrer Existenz sind die Vertreter der Krone der Schöpfung doch vor allem damit beschäftigt, sich möglichst zahlreich gegenseitig abzumurksen. Das Einzige, was sich im Verlauf der vergangenen Jahrtausende änderte, sind die Methoden, die man zu diesem Zweck benutzte: Je weiter der technische Fortschritt gedieh, desto größer war die Anzahl der Opfer, die zu gleicher Zeit zur Schlachtbank geführt werden konnten. Die Geschichte der Menschheit – eine einzige Orgie der Gewalt. Und wenn sie denn für kurze Zeit wirklich einmal von ihrem Lieblingsthema abzukommen drohten, sorgten Erdbeben, Vulkanausbrüche oder Küsten verschlingende Tsunamis für den scheinbar notwendigen Normalzustand.
    Menschen zu vernichten, das scheint das Ziel und der Sinn dieses Universums. Und so darf ich hier aufrichtig bekennen: Menschen zu vernichten, das ist auch mein Thema. Und ob Sie das jetzt hören wollen oder nicht: Ich habe es getan. Es macht also keinerlei Sinn mehr, mir mit vielen Worten erklären zu wollen, weshalb es verwerflich, unerwünscht oder von Ihrem Gott strengstens verboten sei. Sparen Sie sich deshalb alle Einwände, sie kommen zu spät. Ich habe es getan. Es ist geschehen.
    Warum ich mich dann überhaupt noch an Sie wende, wollen Sie wissen, jetzt, wo Sie doch nichts mehr dazu tun können, die schlimme Tat zu verhindern? Sie können es sich wirklich nicht denken? Sie – bei Ihrem Beruf?
    Auch ich bin nur ein Mensch, ein völlig Normaler dazu. Was ich getan habe, ist nicht alltäglich – auch nicht für mich. Normalerweise ist es mein Ideal, Menschen zu helfen, nicht, sie zu vernichten. So geht es mir wie allen, deren Finger schmutzig wurden: Auch wenn ich dazu beigetragen habe, Schmutz aus dieser Welt zu räumen, ich benötige einen Menschen, mit dem ich darüber sprechen, mich austauschen, ihm meine Beweggründe darlegen kann.
    Sie haben es erraten, meine Wahl ist auf Sie gefallen. Sie fragen, weshalb, wo ich doch meine Wertschätzung, was Pfaffen anbetrifft, bereits deutlich zum Ausdruck brachte?
    Nicht allein das Beichtgeheimnis, dem Sie unterliegen, ist es, das mich veranlasste, mich an Sie zu wenden. Ich habe Sie, diese junge und wie mir schien, unverdorben idealistische Person bei einer Beerdigung erlebt, die für uns alle, für Sie, die Angehörigen, die Bekannten, kurzum für alle Anwesenden, auch und ganz besonders für mich, fast unerträglich schwer zu bewältigen war. Wie Sie, die junge Pfarrerin uns die Trennung von diesem Menschen nahebrachten – nie werde ich das vergessen, gerade, wo ich so in diese Sache involviert bin. Deshalb richte ich diese Worte an Sie. Und ich bin überzeugt, der Tag wird kommen, an dem Sie mir vielleicht nicht voll und ganz zustimmen, insgeheim wohl aber verstehen können, was mich dazu brachte, so zu handeln.
    Sie fragen, was alles dazu beitrug, dass ich auf diesen Weg geriet? Wann ich mir endgültig darüber klar war, dass es so nicht weiterlaufen durfte, dass jetzt die Stunde gekommen war, wo es geschehen musste?
    Es waren die Ereignisse in jenen Tagen …

2. Kapitel
    Monika Auberlen hatte sich seit Wochen auf diesen Samstag gefreut. Der 13. Mai sollte endlich wieder ein paar jener Stunden bringen, die ihr einen – wenn auch nur kurzen – Ausbruch aus der Eintönigkeit des Alltags ermöglichten. Zwar hatte sie in den letzten fünf Jahren an der Rolle der zwei kleine Kinder umsorgenden Mutter und Hausfrau mehr Gefallen gefunden als sie es sich vorher hatte vorstellen können, doch fühlte sie sich vor allem in den unwirtlichen Wintermonaten mehr und mehr eingeengt; gefangen in der konventionellen Arbeitsaufteilung zweier Ehepartner, deren
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