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Schwaben-Sumpf

Schwaben-Sumpf

Titel: Schwaben-Sumpf
Autoren: Klaus Wanninger
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Jonny fest in Isiomas Hand verankert. Ich kann mich nicht mehr an den Weg erinnern, von den wenigen Minuten, die wir benötigten, sehe ich nur noch den Augenblick vor mir, als wir vor dem Mädchen standen. Sie war tot, ohne Zweifel, das war mir von Anfang an klar, und ich stand hilflos vor ihr, zitternd und genauso verängstigt wie Jonny. Isioma strich dem Mädchen über die Haare, die Wangen, den Leib, packte sie dann plötzlich, trug sie zwei Stufen hoch und versteckte sie unter einem nahen Busch. Die Szene war gespenstisch; schwaches, von der nächsten Treppenlampe rührendes Licht, der Schatten der Äste, von unten her die Geräusche der Stadt. Dass Isioma Handschuhe trug, bemerkte ich erst, als sie wieder bei uns war, doch genau in dem Moment hörten wir das seltsame Würgen von oben. Wir sprangen zur Seite, duckten uns in den Schatten, sahen einen Mann über dem Geländer hängen und scheinbar in die Tiefe starren. Ich erkannte ihn sofort, war ihm oft genug auf Diskussionen begegnet, hatte sein Gesicht im Fernsehen und verschiedenen Zeitungen gesehen: Meck, der große Wirtschaftsmagnat.
    Ich wusste zuerst nicht, was er wollte, begriff erst nach einer Weile, dass er nicht uns im Visier hatte, sondern aus ganz anderen Gründen dort oben hing: Er war dabei, sich zu erleichtern, spuckte in einem fort, stöhnte, gab den Inhalt seines Magens von sich.
    Wie es weiterging? Sie wissen es selbst. Wir schlichen nach Hause, kümmerten uns um Jonny, ließen uns alles nochmals erzählen, beschlossen dann, eine Entscheidung auf den nächsten Morgen zu vertagen. Isioma richtete dem Jungen das Sofa, wir legten uns hin und fielen trotz unserer aufgewühlten Stimmung in einen unruhigen Schlaf.
    Irgendwann später läutete die Klingel. Isioma öffnete benommen, sah einen bulligen Mann vor sich, verstand erst nach einer Weile, was er wollte. Polizei! Sie stürzte zurück in die Wohnung, rüttelte mich wach. Hatte man Jonny, hatte man uns gesehen?
    Der bullige Beamte fragte nach unserem Wagen, erzählte von einem Unfall und einem getöteten Menschen. Wir kamen ins Wohnzimmer – Jonny war weg, das Auto vor dem Haus verschwunden, die Schüssel dazu ebenso. Hatte er es wieder an sich genommen, mitten in der Nacht, wie schon einmal Monate zuvor? Es gab keine andere Antwort auf diese Frage.
    Der Polizeibeamte schien zufrieden, ließ uns in Ruhe. Jonny war tot, verunglückt mit unserem Wagen. Drei Tage später beerdigten wir seine sterblichen Überreste, vierundzwanzig Stunden darauf, von Ihnen, Frau Pfarrerin Räuber, begleitet, die von Jessica.
     
    War die Sache damit zu Ende?
    Mecks Hetze war der Auslöser. Härter durchgreifen, schärfere Gesetze, raus mit dem kriminellen Pack: Wasser auf die Mühlen des Mobs.
    Ausgerechnet der. Wie viele Stellen von Sozialarbeitern, Schwerpunktbetreuern, in der Kriminalprävention tätigen Pädagogen waren auf seine Hetze hin gestrichen worden? Angeblich alles unnötige Geldverschwendung. Nicht vorbeugen, sondern strafen – Mecks und des reaktionären Mobs Losung.
    Die beiden festgenommenen jungen Männer – es gab außer ihnen nur zwei Personen, die wussten, dass sie unschuldig waren: Isioma und mich. Wie konnten wir helfen, sie von der Anklage zu befreien?
    Isioma wusste Rat, wie immer. Die Berichte der Medien gaben den Ausschlag. Kindersoldaten, Menschen als Arbeitssklaven. Westliche Konzerne Hand in Hand mit den Menschenschlächtern Afrikas. Im Kongo dasselbe Geschehen wie in Nigeria. Profite hier, Opfer dort. Und die Verantwortlichen entzogen sich wie immer jeder Kontrolle. Unübersehbare Firmengeflechte, die Drahtzieher und Nutznießer anonym im Hintergrund. Doch plötzlich schien sich der Schatten zu lichten. Wo immer man hinsah, ob Nigeria oder Kongo, einer war immer dabei:
    Meck. Ausgerechnet der!
     
    Isioma hatte die Idee. »Du erinnerst dich, wen wir in der Nähe des toten Mädchens sahen?«
    Meck. Ich hatte den Anblick nicht vergessen.
    »Die Polizei hat Spuren von Erbrochenem, schreiben sie. Ich weiß, wie wir ihn packen, okay?«
    Natürlich war ich einverstanden. War das überhaupt eine Frage?
    Sie nahm das kleine, von Jessicas Kette abgerissene Stück, wartete in der Nähe seines Anwesens auf Meck. Einer vornehm gekleideten, gut aussehenden, noch recht jungen Dame, sei sie auch von dunkler Hautfarbe, sich als Kavalier zu erweisen – welcher ältere Herr ließe sich diese Chance entgehen? Natürlich kam er ihr zuvor, den winzigen Schmuck, der ihr unmittelbar vor ihm aus den
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