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Schwaben-Sumpf

Schwaben-Sumpf

Titel: Schwaben-Sumpf
Autoren: Klaus Wanninger
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der sich die Sünderstaffel eingebettet in eine von Büschen und Bäumen gesäumte Wiese aus dem Tal emporwand. Sie blieben im Halbrund über dem Abgrund stehen, fotografierten und filmten den einzigartig schönen Panoramablick auf das Zentrum Stuttgarts. Die dunkle Wolke hatte sich verzogen, Sonnenstrahlen verzauberten die Landschaft. Monika Auberlen war gerade dabei, die Gruppe auf die lateinische Inschrift des alten Steins am oberen Ende der Staffel aufmerksam zu machen, die die Herkunft des Namens erläuterte: »Peccatorum desiderium peribit: Verloren ist, was die Gottlosen wollten », als sie von lauten, verzweifelten Rufen unterbrochen wurde.
    Sie unterbrach ihre Ausführungen, starrte zur Seite, sah den Mann mit den kurzen Hosen wild gestikulierend nach unten zeigen. Ein silbern glänzender Gegenstand schoss den steilen Abhang hinunter, polterte über die Wiese, verschwand im dichten Gebüsch einer Krüppelkiefer. Noch bevor ihr klar geworden war, dass es sich bei dem Geschoss um eine ihr wohlbekannte Kamera handelte, hatte sich der unerfreuliche Zeitgenosse in Bewegung gesetzt. Er spurtete mit einem Tempo, das kein einziger Teilnehmer der Stäffeles-Tour ihm auch nur annähernd zugetraut hätte, ans obere Ende der Treppe, trampelte dann schimpfend und immer noch wild gestikulierend die Stufen der Sünderstaffel hinunter. Er rutschte nicht, fiel nicht – wie einige Zuschauer bösartig hofften, andere teilnahmsvoll fürchteten – schaffte es vielmehr bis zu dem dichten Gebüsch, um unmittelbar dahinter zu verschwinden. Für wenige Sekunden war Ruhe, dann aber ertönte ein solch infernalisches Gekreische, dass jedem der Beobachter am oberen Ende der Klinge binnen Sekunden bewusst war, dass dies nicht allein vom Schicksal der Kamera verursacht sein konnte. So sehr alle darauf warteten – der Mann tauchte nicht mehr auf, nur sein Gebrüll schien die gesamte Umgebung zu elektrisieren. Einer starrte den anderen an, nicht wissend, nur ahnend, dass etwas Außergewöhnliches geschehen sein musste. Erst als sie dem Mann die Stufen hinunter gefolgt und hinter das Gebüsch getreten war, dämmerte es Monika Auberlen, dass es sich heute um eine ganz besondere Stäffeles-Tour handelte. Den Anblick des toten Körpers unter der Krüppelkiefer würde sie ihr gesamtes Leben nicht mehr vergessen.

3. Kapitel
    Endlich hatte er das Schild mit dem gesuchten Namen gefunden. Noller.
    Kriminalhauptkommissar Michael Felsentretter trat, fluchend über den erneuten heftigen Regenschauer, unter das winzige Vordach, wischte sich die Nässe aus dem Gesicht. Er drückte auf die Klingel, starrte auf eine von unzähligen Kratzern und obszönen Schmierereien verunstaltete Tür des Mehrfamilienhauses in der Alexanderstraße im Zentrum Stuttgarts, wartete. Egal wie die Reaktion ausfallen würde, nichts als Unannehmlichkeiten standen ihm bevor. War der Kerl unverheiratet und lebte allein, stand er jetzt völlig unnötig hier, weil niemand mehr öffnen würde, hatte er aber eine Partnerin oder gar eine Familie, blieb jetzt an ihm, Felsentretter, die ganze unangenehme Prozedur des in dieser Situation üblichen Kondolens-Gequatsches hängen. Ich muss Ihnen leider mitteilen, es tut mir sehr leid, ich komme mit einer schlimmen Nachricht – wie oft hatte er diese Sprüche schon von sich gegeben, meine aufrichtige Anteilnahme, mein Beileid – mit wie viel Widerwillen sich zu derlei Geschleime durchgerungen. Menschen, die er nicht kannte, oft nur ein einziges Mal im Leben zu sehen bekam, sollte er mit einer emotionalen Betroffenheit entgegentreten, als habe ein schwerer Schicksalsschlag ihn völlig aus der Bahn geworfen – und das oft im Abstand von wenigen Tagen, manchmal gar Stunden. Es mochte sein, dass andere gerne zu solchen Diensten bereit waren, Pfarrer vielleicht oder Ärzte, sein Ding war es auf jeden Fall nicht. Sich verstellen, anderen Leuten Freundlichkeit oder Interesse vortäuschen, sich heuchelnd anbiedern, so wie es gewisse Politiker ohne jeden Skrupel praktizierten – er spürte Gänsehaut auf dem Rücken, wenn er nur daran dachte. Am besten, der Kerl hier im ersten Obergeschoss hatte allein gelebt, dann blieb ihm jetzt dieses widerwärtige Getue erspart.
    Felsentretter spürte die Kopfschmerzen, fühlte sich müde und unausgeschlafen, jetzt, am Samstagmorgen, wo die Mehrheit der Bevölkerung sich in aller Gemütlichkeit ein opulentes spätes Frühstück gönnte, hatte er nichts Besseres zu tun, als hier im strömenden Regen vor
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