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Schwaben-Sumpf

Schwaben-Sumpf

Titel: Schwaben-Sumpf
Autoren: Klaus Wanninger
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Alltagsleben trotz anderweitiger Absichten in althergebrachter Manier zu verlaufen drohte: Der Eine widmete sich voll und ganz dem Erwerb der notwendigen Finanzen, die andere war ausschließlich auf die Erziehung der Kinder fixiert. So sehr sie es kurz vor der Geburt ihrer ersten Tochter genossen hatte, dem harten Alltag der an einem Leonberger Gymnasium unterrichtenden Lehrerin zu entkommen, und so entschlossen sie war, sich dem nervenaufreibenden Stress dieses Berufs unter keinen Umständen mehr auszusetzen – der Wunsch nach kurzen, das Hausfrauendasein unterbrechenden Intervallen ließ sich nicht länger unterdrücken.
    Wie ein Wink des Himmels war ihr deshalb der Vorschlag einer ehemaligen Kollegin erschienen, sich bei der Stuttgart-Marketing als Stadtführerin zu bewerben, um Interessierten die Sehenswürdigkeiten ihrer Geburtsstadt zu zeigen. Als Historikerin und Germanistin waren ihr die Geschichte und das kulturelle Umfeld Stuttgarts bis ins Detail vertraut, zudem hatte sie den überwiegenden Teil ihres Lebens innerhalb oder in unmittelbarer Nähe der Stadt verbracht. Sie hattenicht lange gezögert, war bei den verantwortlichen Personen vorstellig geworden, hatte nach kurzer Bewerbung den Status einer in unregelmäßigen Abständen tätigen freien Mitarbeiterin erlangt.
    Die Aktivitäten der Stadt-Marketing-Gesellschaft waren vielfältiger Natur; von konventionellen Stadt-Rundfahrten über Schiller-Spaziergänge auf den Spuren des Dichterfürsten bis hin zu Wein-Erlebnistouren quer durch die weitläufigen Stuttgarter Weinberge boten sie aufschlussreiche Einblicke in das Leben der schwäbischen Metropole. Monika Auberlen hatte eine besondere Vorliebe für eine erst vor wenigen Jahren eingeführte Variante entwickelt, die sich als Stäffeles-Tour großer Beliebtheit bei Touristen wie Einheimischen erfreute: Ein kurzweiliger, etwa zweieinhalb Stunden währender Spaziergang über einige der bekanntesten Stuttgarter Treppenwege, der alle paar Minuten mit neuen beeindruckenden Ansichten der Innenstadt aufwartete. Jedes zweite Wochenende von Mai bis Oktober wurde er angeboten, an diesem Samstag zum ersten Mal in diesem Jahr.
    »Ich verspreche Ihnen viele reizvolle Ausblicke auf unsere Stadt. Sie werden glauben, Sie befinden sich auf einem Rundflug über Stuttgart«, hatte sie nach kurzer Begrüßung vor dem i-Punkt, der Touristen-Information gegenüber dem Hauptbahnhof, der kleinen Gruppe an der Stäffeles-Tour Interessierten vorgeschwärmt. Der Rest ihrer Worte war im heftigen Prasseln eines kräftigen Regenschauers untergegangen, der sich genau in diesem Moment aus einer dunklen Wolke gelöst hatte. Monika Auberlen war in die nahe überdachte Passage am Anfang der Königstraße geeilt, hatte den wetterbedingten Aufenthalt dazu genutzt, ihre Zuhörer über die Entstehung und Vielfalt der Stuttgarter Treppenwege zu informieren. Sie war auf die beengte Lage der Stadt im schmalen Talkessel eingegangen, hatte den daraus resultierenden Zwang ihrer Bewohner erklärt, ihre Gärten, Obstbaumwiesen und Weinberge hangauf anzulegen. Sie hatte das im 19. Jahrhundert einsetzende Wachstum Stuttgarts erwähnt, das den Hängen in die Höhe folgte und war auf einige der bekanntesten Treppenstraßen und deren Länge zu sprechen gekommen.
    »Der Stadtplan weist etwa dreihundert öffentlich begehbare größere Treppenanlagen innerhalb des Stadtgebietes auf, nicht einbezogen all die vielen Fußgängerunterführungen, Stadtbahnzugänge und Weinbergstaffeln. Nicht alle sind einen Besuch wert. Manche erschließen nur auf kürzestem Weg unterschiedliche Höhenlagen. Etliche unserer Stäffele aber sind pittoreske Kunstwerke, malerische Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit. Ohne jeden Zweifel gehören sie zu den schönsten Ecken Stuttgarts. Und manche Einheimische wissen sie als überaus ruhige, von üppiger Vegetation begleitete Frischluftparadiese zu genießen – einige der wenigen Winkel unserer Stadt, die von Autos und deren schlimmstem Lärm und Abgasen verschont sind. Was allen Stäffele immer wieder aufs Neue gelingt: Sie können uns ganz schön ins Schwitzen bringen: Zum Beispiel die Willy-Reichert-Staffel mit ihren vierhundertsieben Stufen. Oder die Sünderstaffel mit zweihundertsechzig. Vorausgesetzt, wir versuchen sie bergan zu bezwingen.
    Sie stöhnen jetzt schon? Keine Angst, wir begnügen uns vorerst mit einem unserer kürzeren Treppenwege: Der Eugenstaffel. Sie hat nicht mal hundert Stufen. Der große Rest wurde im
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