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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen
Autoren: Jess Walter
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Claires Augen lider flattern; sie atmet ein, orientiert sich und wirft einen flüchtigen Blick auf die Marmorschulter ihres Freundes, der schlafend seine siebzig Prozent des Doppelbetts besetzt hält. Oft wenn Daryl spät nach Hause kommt, macht er das Fenster hinter dem Bett einen Spalt auf, und dann wacht Claire davon auf, dass draußen – psst hey – der Steingarten berieselt wird. Sie hat den Hausmeister gefragt, warum es nötig ist, ein Steinbeet jeden Morgen um fünf Uhr (oder überhaupt) zu bewässern, doch natürlich ist die Sprinkleranlage nicht das eigentliche Problem.
    Beim Aufwachen giert Claire bereits nach Daten; sie fummelt nach ihrem Blackberry auf dem überfüllten Nachttisch und setzt sich den digitalen Schuss. Vierzehn E-Mails, sechs Tweets, fünf Freundschaftsangebote, drei SMS und ihr Terminkalender – das Leben in der Handfläche. Auch allgemeine Sachen: Freitag, neunzehn bis dreiundzwanzig Grad. Fünf Telefonate zu erledigen. Sechs Pitch-Treffen. Dann bemerkt sie in dem Infowust eine lebensverändernde E-Mail von [email protected]. Sie öffnet sie.
    Liebe Claire,
    noch einmal vielen Dank für Ihre Geduld bei diesem langwierigen Prozess. Bryan und ich waren sehr beeindruckt von Ihren Referenzen und Ihrem Vorstellungsgespräch, und wir würden uns gern weiter mit Ihnen unterhalten. Könnten Sie sich vielleicht heute Morgen mit uns zu einem Kaffee treffen?
    Mit besten Grüßen
    James Pierce
    Museum für Amerikanische Leinwandkultur
    Claire setzt sich auf. Heilige Scheiße. Die wollen ihr den Job anbieten. Oder nicht? Weiter unterhalten? Sie hatte bereits zwei Bewerbungsgespräche mit ihnen; was kann es da noch zu reden geben? Ist es das? Ist heute der Tag, an dem sie ihren Traumjob kündigt?
    Claire ist leitende Entwicklungsassistentin bei dem legendären Filmproduzenten Michael Deane. Der Titel ist Augenwischerei: Ihr Job dreht sich ausschließlich ums Assistieren, von Entwickeln und Leiten keine Spur. Sie ist für Michaels Launen zuständig. Beantwortet seine Anrufe und E-Mails, holt ihm Sandwiches und Kaffee. Und die meiste Zeit liest sie für ihn: riesige Berge von Drehbüchern und Exposés, Einseitern und Treatments – ein Wust von Material, das im Nirwana endet.
    Dabei hatte sie sich viel mehr erhofft, als sie ihr Promotions studium in Filmwissenschaft aufgab, um bei dem Mann zu arbeiten, der in den Siebzigern und Achtzigern als »Deane von Hollywood« bekannt war. Sie wollte Filme machen – kluge, bewegende Filme. Doch als sie vor drei Jahren ihre Stelle antrat, befand sich Michael Deane im schlimmsten Tief seiner gesamten Karriere und hatte in jüngerer Zeit nichts Erwähnenswertes vorzuweisen bis auf den Indie-Zombie- Flop Night Ravagers. Seit Claire dort arbeitet, hat Deane Pro ductions keinen Kinofilm gemacht, und die einzige Produktion des Hauses war eine Fernsehsendung: die erfolgreiche Reality- TV -Show und Dating-Website Hookbook (Hookbook.net).
    Und seit dem Volltreffer mit diesem monströsen Medienmix sind Filme für Deane Productions nur noch eine verblassende Erinnerung. Stattdessen hört sich Claire nun untertags Vorschläge für Fernsehsendungen an, die so abstoßend sind, dass sie befürchtet, damit praktisch im Alleingang die Apokalypse zu beschleunigen: Model-Versuch (»Wir nehmen sie ben Models und stecken sie in ein Verbindungshaus!«), Nympho Night (»Wir filmen die Dates von Leuten mit der Diagnose Sexsucht!«) und Haus der besoffenen Zwerge (»Na ja, das ist eben … ein Haus voller besoffener Zwerge!«).
    Michael drängt sie ständig, ihre Erwartungen anzupassen, ihre hohen Ansprüche abzulegen, die Kultur so zu akzeptieren, wie sie ist, und ihre Auffassung von Qualität zu erweitern. »Wenn du Kunst machen willst«, so doziert er gern, »dann such dir einen Job im Luv-räh. «
    Und genau das hat sie getan. Vor einem Monat hat sich Claire um eine Stelle beworben, die auf einer Webseite ausgeschrieben war. Gesucht wurde ein »Kurator für ein neues privates Filmmuseum«. Und jetzt, fast drei Wochen nach dem ersten Gespräch, stehen die smarten Geschäftsleute im Vorstand des Museums offenbar kurz davor, ihr den Job anzubieten.
    Eigentlich gibt es da nicht viel zu überlegen: Das geplante Museum für Amerikanische Leinwandkultur ( MALK ) bietet ihr bessere Bezahlung, bessere Arbeitszeiten und mit Sicherheit eine bessere Möglichkeit, ihren Master in Moving Image Archive Studies an der University of California in Los Angeles anzuwenden. Mehr noch, die Stelle könnte
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