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Tödliche Ewigkeit

Tödliche Ewigkeit

Titel: Tödliche Ewigkeit
Autoren: Denis Marquet
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NEW YORK, EINEN MONAT ZUVOR
     
    Das Polizeirevier des 19. Distrikts war eines der ältesten Gebäude von Manhattan. Auf der schmutzigen Fassade war das Baujahr zu lesen: 1887. Bewegt blieb Ann Lawrence stehen und betrachtete den hohen, schmalen Bau. Sobald sie den diensthabenden Polizisten begrüßt und die Tür durchschritten hatte, würde sie an ihrem neuen Arbeitsplatz sein. Endlich wurde ihr Traum wahr: Sie würde Detective am New York Police Department werden.
    Dafür hatte sie gekämpft. Ihre Familie hatte ihr klarzumachen versucht, dass es nicht der Wunsch einer Lawrence sein konnte, zur Polizei zu gehen. Ann hatte sich nicht beirren lassen. Sie hielt sich zwar für aufgeschlossen und hatte ein offenes Ohr für andere, doch was ihr eigenes Leben betraf, war sie niemandem Rechenschaft schuldig. Alles hatte mit dem Entschluss angefangen, Psychologie statt Jura zu studieren. Angesichts dieser Neuigkeit, in seinen Augen ein Verrat, den er sehr persönlich nahm, hatte ihr Vater einen Wutanfall bekommen, an den sich die ganze Familie noch heute mit Schrecken erinnerte. Dann schien er sich damit abgefunden zu haben, dass seine brillante Tochter nicht seine Nachfolge in der renommierten Anwaltskanzlei antreten würde. Ende des ersten Akts. Doch kaum hatte sie innerhalb kürzester Zeit mit Bravour ihr Diplom in Psychologie absolviert, hatte sie den Wunsch geäußert, die Polizeiakademie zu besuchen. Das war zu viel für Robert Lawrence, und er hatte sechs Monate lang kein Wort mehr mit seiner Tochter gesprochen. Selbst nachdem sich sein Ärger allmählich gelegt hatte, waren nur noch oberflächliche Gespräche möglich. Was ihre sanfte und zuvorkommende Mutter anging, so lag stets ein versteckter Vorwurf in ihren Augen. Die Schuld, ihren Vater enttäuscht zu haben … »Ich denke nicht daran, den Rest meines Lebens damit zu verbringen, meine Eltern wegen meiner Entscheidung zu trösten«, dachte Ann. Als sie die wenigen Stufen hinaufstieg, die zu ihrem neuen Leben führten, achtete sie aufmerksam auf jede Regung ihres Körpers. Ihr Traum …
    Entschlossen schritt sie durch die hohe Tür.
    Sie hatte es geschafft.
    Sogleich wurde ihre Aufmerksamkeit von einer seltsamen Tafel am Eingang angezogen. Da sie zu früh dran war, trat sie näher. Unter dem eingerahmten Wappen des NYPD war eine Inschrift angebracht, die vor dreißig Jahren zwei Polizisten gestaltet hatten: Ich bin die Dienstmarke eines Officer der New Yorker Polizei, nur ein einfaches Stück Metall, das aber einem außergewöhnlichen Menschen dient, der seine Pflichten kennt. Mag man ihn auch mit allen möglichen Namen betiteln, so ruft man ihn doch stets, wenn man in Schwierigkeiten ist. Er ist unterbezahlt, hat ständig wechselnde Dienstzeiten und lebt mit der Gefahr, doch das ist seine Arbeit, und er liebt sie. Ich bin eine Dienstmarke, und ich bin stolz, von einem Angehörigen des New York Police Department getragen zu werden. Ann betrachtete die Plakette. In wenigen Minuten würde ihr der befehlshabende Lieutenant die ihre überreichen, verziert mit der goldenen Waage, dem Symbol der Gerechtigkeit. Der Polizeidienst, dachte sie, ist eine Berufung. Sie hätte Anwältin in einer der angesehensten Kanzleien von Manhattan werden können. Doch das war nicht ihr Wunsch gewesen. Sie wollte dem Gesetz dienen.
    In der riesigen, hohen Halle drängten sich Männer und Frauen unterschiedlicher Hautfarbe und Alterstufen zur Wachablösung. Ann überkam plötzlich Angst. Sie senkte den Kopf, da sie befürchtete, man könne sie entdecken und erklären, sie sei hier fehl am Platze. Ann Lawrence ? Die Tochter von Robert Lawrence? Ein schlechter Scherz! Doch dann fasste sie sich wieder. Sie ballte die Hände in den Taschen, hob den Kopf und zwang sich, die Kollegen ringsumher zu betrachten. Die meisten trugen die Uniform der Streifenbeamten, eine Minderheit war in Zivil – das heißt Sakko und Krawatte, der vorgeschriebene Dress der Detectives.
    Nach der Polizeiakademie war Ann ein Jahr lang in der Dienstkleidung der Polizeianwärterin Streife gegangen. Dann war dank ihres Psychologiestudiums am Hunter College und ihrer hervorragenden Arbeit ihr Antrag auf Versetzung zu den Detectives positiv beschieden worden. Eine Anerkennung, die nur wenigen so rasch zuteil wurde. Nach einer zusätzlichen Ausbildung, bei der man sie mit dem Strafrecht, mit Einsätzen und Zeugenverhören vertraut gemacht hatte und der Kunst, sich unauffällig auf der Straße zu bewegen, hatte sie ihre
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