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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen
Autoren: Jess Walter
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Arme des Schicksals stürzt – oder zumindest unter eine heiße Dusche.
    Und in diesem Augenblick durchbricht ein einziger wehmütiger Gedanke die Mauer ihrer Entschlossenheit: der Wunsch oder vielleicht die Bitte, dass sie in dem ganzen Müll des Tages nur einen … anständigen … Pitch hören möge – eine Idee zu einem großen Film – damit sie nicht den einzigen Job aufgeben muss, von dem sie ihr ganzes Leben lang geträumt hat.
    Draußen spuckt die Sprinkleranlage lachend auf den Steingarten.
    Ebenfalls nackt und eintausenddreihundert Kilometer entfernt in Beaverton, Oregon, kann sich Claires letzter Termin des Tages, um vier, nicht entscheiden, was er anziehen soll. Shane Wheeler ist Ende zwanzig, groß, schlank, und das schmale, von braunen Wellen und Tischbeinkoteletten umrahmte Gesicht hat etwas leicht Ungezähmtes an sich. Seit zwanzig Minuten versucht Shane, ein passendes Outfit aus diesem Laubhaufen abgeworfener Klamotten zusammenzusuchen: faltige Polos, skurrile Secondhand-T-Shirts, Westernhemden, Bootcut-Jeans, enge Jeans, zerrissene Jeans, Ausgeh-, Kaki- und Cordhosen, und nichts davon so ganz das Richtige für die unbeschwert talentierte Lässigkeit, die er bei seinem allerersten Pitch-Meeting in Hollywood für angemessen hält.
    Zerstreut reibt Shane über das Tattoo an seinem linken Unterarm. Das in eleganter Gangster-Kalligrafie gestanzte Wort HANDLE ist ein Verweis auf das Lieblingszitat seines Vaters aus der Bibel und war bis vor Kurzem Shanes Lebensmotto: Handle, als hättest du Glauben, und er soll dir gegeben werden.
    Sein Weltbild wurde geprägt von endlosen Fernsehserien, von ermunternden Lehrern und Beratern, von Schülerwettbewerben, Teilnahmeurkunden sowie Fußball- und Basketballpokalen – doch am meisten von seinen aufmerksamen und pflichtbewussten Eltern, die ihre fünf perfekten Kinder zu dem Glauben – nein, zu dem Anspruch – erzogen haben, dass sie alles sein können, was sie wollen, solange sie nur von sich überzeugt sind.
    Also hat Shane an der Highschool gehandelt, als wäre er ein Langstreckenläufer, und zweimal das Ehrenabzeichen der Schule bekommen; als wäre er ein Musterschüler, und Bestnoten abgeräumt; als wäre eine bestimmte Cheerleaderin genau seine Kragenweite, und sie forderte ihn zum Tanzen auf; als wäre er ein Topkandidat für die Uni in Berkeley, und wurde aufgenommen, und für die Verbindung Sigma Nu, und sie wollten ihn; als wäre er Schriftsteller, und wurde zum Masterstudiengang Creative Writing an der University of Arizona zugelassen; als hätte er sich verliebt, und heiratete.
    Doch in jüngerer Zeit sind in dieser Philosphie Risse aufgetaucht – der Glaube reicht nicht einmal mehr annähernd aus –, und im Vorfeld seiner Scheidung ließ seine künftige Exfrau (Hab die Schnauze voll von deiner Scheiße, Shane …) eine Bombe platzen: Das Bibelzitat, das er und sein Vater bis zum Abwinken zitierten, »Handle, als hättest du Glauben …«, kam überhaupt nicht in der Bibel vor. Ihrer Meinung nach stammte es vielmehr aus dem Schlussplädoyer der von Paul Newman gespielten Figur in dem Film The Verdict .
    Diese Enthüllung verursachte Shane zwar keine Scherereien, aber sie schien sie zumindest irgendwie zu erklären. Was passiert, wenn dein Leben nicht von Gott autorisiert wurde, sondern von David Mamet? Du findest keine Lehrerstelle, und deine Ehe löst sich auf, gerade wenn dein Studiendarlehen fällig wird und das Projekt, an dem du sechs Jahre gearbeitet hast, deine Masterarbeit – eine Sammlung miteinander verbundener Kurzgeschichten mit dem Titel Verbunden –, von dem Literaturagenten, den du dir ausgesucht hast, abgelehnt wird. (Agent: Dieses Buch funktioniert nicht. Shane: Sie meinen, für Sie. Agent: Ich meine, zum Lesen. ) Geschieden, arbeitslos, pleite und mit vernichteten literarischen Ambitionen, sah Shane seinen Entschluss, Schriftsteller zu werden, als sechsjährigen Umweg ins Nichts. Zum ersten Mal im Le ben packte ihn die Angst, und ohne den Ansporn von HANDLE schaffte er es nicht mal mehr aus dem Bett. Es war seine Mutter, die ihn herauszerren und ihn zur Einnahme von Antidepressiva überreden musste, um vielleicht den unbeküm merten jungen Mann wiederherzustellen, den sie und sein Vater aufgezogen hatten.
    »Wir sind doch sowieso keine religiöse Familie. Wir sind eigentlich nur an Weihnachten und Ostern in die Kirche gegangen. Dann hat dein Dad diesen Spruch eben aus einem dreißig Jahre alten Film statt aus einem
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