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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen
Autoren: Jess Walter
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Arschfresser .
    Pasquale beobachtete Dee Moray, die mit kleinen Schritten über den Steinpfad auf das Hotel zusteuerte. »So krank kann sie nicht sein«, konstatierte er. »Sie ist wunderschön.«
    »Aber nicht wie Sophia Loren«, entgegnete Orenzio. »Oder die Marilyn Monroe.« Das war ihr anderer Winterzeitvertreib gewesen: ins Kino zu gehen und die Frauen in den Filmen zu bewerten.
    »Nein, ich finde, sie ist von einer intelligenteren Schönheit … wie Anouk Aimée.«
    »Sie ist so mager«, meinte Orenzio. »Und sie ist keine Claudia Cardinale.«
    »Nein.« Pasquale musste ihm zustimmen. Claudia Cardinale war vollkommen. »Aber ihr Gesicht ist nicht so gewöhnlich.«
    Orenzio wurde die Diskussion zu kompliziert. »Ich könnte einen dreibeinigen Köter ins Dorf bringen, Pasqua, und du würdest dich in ihn verlieben.«
    Jetzt fing Pasquale an, sich Sorgen zu machen. »Orenzio, wollte sie überhaupt hierher?«
    Orenzio patschte auf den Zettel in Pasquales Hand. »Der Amerikaner, dieser Deane, der sie nach La Spezia gefahren hat … Ich hab ihm erklärt, dass niemand hierherkommt. Hab gefragt, ob er vielleicht Portofino oder Portovenere meint. Er wollte wissen, wie Porto Vergogna ist, und ich hab gesagt, hier gibt es nichts außer einem Hotel. Er hat gefragt, ob das Dorf ruhig ist. Und ich darauf: ›Nur der Tod ist ruhiger.‹ Und er: ›Dann ist es genau das Richtige.‹«
    Pasquale lächelte seinem Freund zu. »Danke, Orenzio.«
    »Bocklutscher«, antwortete Orenzio leise.
    »Das hast du schon mal gesagt.«
    Orenzio tat, als würde er ein Glas Bier kippen.
    Dann starrten sie beide vierzig Meter den Hang hinauf zu der Stelle, wo der erste amerikanische Gast seit dem Tod seines Vaters vor der Tür zum Hotel stand. Das ist die Zukunft, dachte Pasquale.
    Zögernd wandte sich Dee Moray auf dem Dorfplatz um und schaute zu ihnen herab. Sie schüttelte ihren Zopf aus, und das sonnengebleichte Haar bebte und tanzte um ihr Gesicht, als sie den Anblick des Meeres auf sich wirken ließ. Dann wandte sie sich mit geneigtem Kopf dem Schild zu, als hätte sie Mühe, die Worte zu verstehen:
    HOTEL ZUR AUSREICHENDEN AUSSICHT
    Schließlich klemmte sich die Zukunft ihren Schlapphut unter den Arm, schob die Tür auf und trat mit eingezogenem Kopf ein.
    Nachdem sie im Hotel verschwunden war, gab sich Pasquale der schwerfälligen Vorstellung hin, dass er sie irgend wie heraufbeschworen hatte, dass er diese Frau nach den vielen Jahren an diesem Ort, nach den Monaten der Trauer, der Abgeschiedenheit und des Wartens auf Amerikaner aus Kino- und Bücherpassagen selbst erschaffen hatte, aus den verlorenen Bruchstücken und Ruinen seiner Träume, aus sei ner epischen, endlosen Einsamkeit. Er schielte hinüber zu Oren zio, der das Gepäck von jemandem schleppte, und plötzlich schien die ganze Welt ganz unwirklich, unsere Zeit darin nur wie ein kurzer Traum. Noch nie hatte ihn eine derart distanzierte, existenzielle Empfindung, ein derart erschreckendes Gefühl von Freiheit gestreift – es war, als würde er über dem Dorf und über seinem eigenen Körper schweben – und es riss ihn auf eine Weise mit, die er niemals hätte erklären können.
    »Dee Moray«, sagte Pasquale Tursi auf einmal laut und brach damit den Bann seiner Gedanken. Orenzio schaute herüber. Darauf kehrte ihm Pasquale den Rücken zu und sprach den Namen erneut aus, nur für sich selbst, in einem fast unhörbaren Flüstern, verlegen über den hoffnungsvollen Atem, der die Worte formte. Das Leben, dachte er, entsteht erst aus der Kraft der Fantasie.

2
    Der letzte Pitch
    Unlängst
    Hollywood, Kalifornien
    V or dem Sonnenaufgang – vor den guatemaltekischen Gärtner n mit ramponierten Rasentraktoren, vor den Kariben, die kochen, putzen und einkleiden, vor Montessori, Pilates und Coffee Bean, bevor sich die Benz und BMW s auf die palmengesäumten Straßen schieben und die Bluetooth-Haie erneut ihr niemals endendes Geschäft aufnehmen (d ie Gentrifizierung des amerikanischen Geiste s) – regen sich am Boden die Sprinkleranlagen, um hoch aufsprühend vom Flughafen bis in die Berge, von der Innenstadt bis an die Strände den schlummernden Schutt der Unterhaltungsindustrie in der nordwestlichen Ecke des Großraums Los Angeles zu bespucken.
    In Santa Monica rufen sie Claire Silver in der frühmor gendlichen Stille ihrer Eigentumswohnung zu – psst hey – , als ihre rote Lockenpracht noch über dem Kissen hängt wie eine Blutlache. Erneut flüstern sie – psst hey – , und
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