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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen
Autoren: Jess Walter
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perfekte Outfit durch die Luft: vorgewaschene Bootcut-Denimhose und ein Westernhemd mit Stickerei am Rücken und Druckknöpfen. Perfekt zu Bikerstiefeln mit Doppelschnalle. Schnell zieht sich Shane an und krempelt vor dem Spiegel den Ärmel hoch, bis gerade noch die untere Hälfte des E in seinem Tattoo erkennbar ist. »Und jetzt«, sagt Shane Wheeler zu seinem angekleideten Gegenüber, »pitchen wir einen Film.«
    In Claires Coffee Bean drängen sich um halb acht die Leute. Jeder Tisch hat einen weißen Filmautor mit Brille zu bieten, jede Brille ist auf ein Mac-Pro-Notebook gerichtet, jeder Mac Pro zeigt in digitaler Form die Endfassung eines Drehbuchs – das heißt, jeder Tisch bis auf den kleinen ganz hinten, wo zwei smarte Geschäftsleute einem leeren Stuhl gegenübersitzen, der für Claire bestimmt ist.
    Claire steuert auf sie zu und zieht mit ihrem Rock die Blicke der Coffee-Bean-Filmautoren auf sich. Sie hasst hohe Absätze und fühlt sich wie ein frisch beschlagener Gaul. Lächelnd grüßt sie, als die beiden aufstehen. »Hallo James, hallo Bryan.«
    Sie nehmen wieder Platz und entschuldigen sich, weil sie so lange gebraucht haben, um sich bei ihr zu melden, doch alles andere ist genau, wie sie es sich vorgestellt hat – toller Lebenslauf, wunderbare Referenzen, beeindruckendes Gespräch. Sie haben sich mit dem gesamten Planungsgremium des Museums zusammengesetzt und nach eingehenden Beratungen (sie hatten einen anderen Kandidaten, der abgesprungen ist, vermutet sie) beschlossen, ihr die Stelle anzubieten. Mit diesen Worten nickt James Bryan zu, der einen Umschlag über den kleinen runden Tisch schiebt. Claire öffnet ihn ein wenig, bis sie die Überschrift »Vertraulichkeitsvereinbarung« erkennt. Bevor sie sich weiter mit dem Dokument befassen kann, hebt James warnend die Hand. »Eins sollten Sie wissen, bevor Sie sich das Angebot ansehen.« Zum ersten Mal unterbricht einer von ihnen den Blickkontakt zu ihr: Bryan schaut sich um, ob jemand zuhört.
    Scheiße. In Claires Kopf überschlagen sich die Worst-Case-Szenarien: Die Bezahlung erfolgt in Kokain; sie muss zuerst den Interimskurator erwürgen; es ist ein Museum für Pornofilme –
    Stattdessen stellt James eine Frage: »Claire, was wissen Sie über Scientology?«
    Zehn Minuten später – nachdem sie darum gebeten hat, am Wochenende über das großzügige Angebot nachdenken zu dürfen – ist Claire auf dem Weg zur Arbeit. Dadurch ändert sich nichts, denkt sie. Oder doch? Na schön, ihr Filmmuseum ist also eine Fassade für eine Sekte – nein, das ist nicht fair. Sie kennt Scientologen, und sie sind auch nicht sektenhafter als die steifen Lutheraner in der Verwandtschaft ihrer Mutter oder die säkularen Juden in der ihres Vaters. Aber werden die Leute es nicht so wahrnehmen? Dass sie ein Museum voll mit der Scheiße leitet, die Tom Cruise bei seinem Garagenflohmarkt nicht losgeworden ist?
    James hat ihr versichert, dass das Museum, abgesehen von der Startfinanzierung, keine Verbindung mit der Kirche haben wird; dass den Grundstock der Sammlung zwar Schenkungen einiger Mitglieder bilden werden, dass der größte Teil des Museums aber von ihr aufgebaut werden soll. »Damit will die Kirche etwas zurückgeben an eine Branche, die unsere Ziele seit vielen Jahren fördert«, erklärte Bryan. Und sie waren begeistert von ihren Ideen: interaktive Computergrafikprogramme für Kinder, eine Stummfilmgruft, eine wöchentlich rotierende Filmserie, jedes Jahr ein Filmfestival zu einem bestimmten Thema. Sie seufzt; warum müssen es ausgerechnet Scientologen sein?
    Claire brütet vor sich hin, während sie fährt wie ein Zombie – reduziert auf animalische Reflexe. Die Route durch ein Labyrinth aus Abkürzungen, Spurwechseln, Seitenstreifen, Pendlerverkehr, Wohn- und Seitenstraßen, Fahrradwegen und Parkplätzen ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen und bringt sie jeden Tag exakt achtzehn Minuten nach dem Verlassen ihrer Wohnung ins Büro.
    Mit einem Nicken für den Wachmann fährt sie durch die Schranke und parkt. Sie schnappt sich ihre Tasche, und als sie zum Büro strebt, scheinen sogar ihre Schritte abzuwägen ( gehen, bleiben, gehen, bleiben ) . Die Michael Deane Productions haben ihren Sitz in einem alten, zwischen Studios, Büros und Filmsets gequetschten Autorenbungalow auf dem Universal-Gelände. Michael arbeitet nicht mehr für Universal, aber er hat in den Achtziger- und Neunzigerjahren so viel Geld für das Unternehmen verdient, dass man ihm
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