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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen
Autoren: Jess Walter
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ihr vielleicht sogar das Gefühl vermitteln, dass sie ihr Gehirn wieder benutzt.
    Michael hält nicht viel von ihrer intellektuellen Unzufriedenheit und beharrt darauf, dass sie sich einfach ihre Sporen verdienen muss. Jeder Produzent irrt einige Jahre in der Wildnis herum, oder, wie Michael es in seiner knappen, un nachahmlichen Ausdrucksweise formuliert, sie muss »Scheiße sieben, um Gold zu finden«, sie muss sich einen Namen machen mit einem oder zehn kommerziellen Erfolgen, damit sie später die Projekte realisieren kann, die ihr am Herzen liegen. Und so steht sie jetzt am großen Scheideweg des Lebens: Soll sie festhalten an dieser krassen Karriere und dem abwegigen Traum, eines Tages einen großen Film zu machen, oder soll sie einen ruhigen Job antreten, bei dem sie Relikte aus einer Zeit katalogisiert, als der Film noch etwas zählte?
    Mit solchen Entscheidungen (College, Männer, Doktortitel) konfrontiert, hat Claire schon immer die Vor- und Nachteile aufgelistet, nach Zeichen gesucht und Abkommen geschlossen. Und auch jetzt schließt sie ein Abkommen mit sich oder dem Schicksal: Entweder heute kommt eine gute, umsetzbare Filmidee durch die Tür, oder ich kündige.
    Natürlich ist das ein faules Abkommen. Überzeugt davon, dass man nur noch beim Fernsehen Geld verdienen kann, hat sich Michael seit zwei Jahren für keine einzige Idee zu einem Film, ob Pitch, Treatment oder Drehbuch, erwärmen können. Und alles, was sie mag, tut er als zu teuer, zu düster, zu altmodisch, zu unkommerziell ab. Und als ob damit die Chancen noch nicht schlecht genug stünden, ist heute auch noch Wild-Pitch-Freitag: der letzte Freitag im Monat, der den mauen Vorschlägen von Michaels alten Kumpeln und Kollegen und sonst von allen ausgebrannten, abgehalfterten Typen vorbehalten ist, die irgendwann einmal wer waren oder werden wollten. Und ausgerechnet an diesem Wild-Pitch-Freitag haben sich sowohl Michael als auch sein Produktionspartner Danny Roth freigenommen. Heute – psst hey – hat sie diese Scheiße ganz allein am Hals.
    Claire schielt nach hinten zu Daryl, der neben ihr im Bett döst. Das Gewissen kneift sie, weil sie ihm nichts von der Museumsstelle erzählt hat; für ihr Schweigen gibt es mehrere Gründe: Er zieht jede Nacht um die Häuser, sie reden sowieso nicht viel miteinander, und sie spielt mit dem Gedanken, sich auch von ihm zu trennen.
    »Und?«, fragt sie leise. Daryl gibt einen Tiefschlaflaut von sich – etwas zwischen Ächzen und Quieken. »Ja«, sagt sie, »das dachte ich mir schon.«
    Sie steht auf und streckt sich, startet zum Bad. Doch unterwegs stockt sie vor Daryls Jeans, die wie ein ruhender Tänzer auf dem Boden liegt, wo er sie abgeworfen hat. Psst nicht , warnt die Sprinkleranlage, doch was bleibt ihr denn anderes übrig – einer jungen Frau am Scheideweg und auf der Suche nach Zeichen? Sie hebt die Jeans auf und durchwühlt die Taschen: sechs Eindollarscheine, Münzen, ein Streichholzheftchen und … ah, da ist es:
    Ein Bonusheft für eine Veranstaltung mit dem charmanten Namen ARSCHTAKULÄR : NACKTPROGRAMM VOM FEINSTEN . Daryls Zeitvertreib. Sie dreht die Karte um. Claire kennt sich nicht unbedingt gut aus mit den Nuancen der Unterhaltungsindustrie für Erwachsene, doch die Verwendung von Bonusheften spricht wohl nicht unbedingt dafür, dass das ARSCHTAKULÄR das Vier Jahreszeiten der Tittenbars ist. Ach, sieh mal an: Daryl muss nur noch zweimal stempeln, dann bekommt er einen Lapdance gratis. Wie toll für ihn! Sie legt die Karte neben ihrem schnarchenden Freund in die Kuhle, die ihr Kopf im Kissen hinterlassen hat.
    Dann steuert Claire aufs Bad zu und fügt Daryl wie eine Geisel offiziell in ihr Abkommen mit dem Schicksal ein (Bring mir noch heute eine super Filmidee, oder mein Lover mit der Vorliebe für Stripclubs springt über die Klinge!) . Sie denkt an die Namen in ihrem Terminkalender und fragt sich, ob sich hinter einem davon ein magischer Knüller verbirgt. Sie stellt sie sich als Fixpunkte auf einer Landkarte vor: ihr Halbzehntermin beim Verspeisen eines milchweißen Omeletts, während er in Culver City noch mal seinen Pitch durchgeht, der Viertel-nach-zehn-Termin beim Tai-Chi in Manhattan Beach, der Elftermin, der sich in Silver Lake unter der Dusche einen runterholt. Es ist befreiend, so zu tun, als hinge ihre Entscheidung jetzt von ihnen ab, als hätte sie alles getan, was in ihren Kräften steht, und Claire fühlt sich fast frei, als sie sich offen und nackt in die launischen
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