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Suesse Hoelle

Suesse Hoelle

Titel: Suesse Hoelle
Autoren: Linda Howard
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    Punkt halb zwölf verließ Marlie Keen an diesem Freitagabend zusammen mit den anderen Kinogängern das Cinemaplex-Kino. Es war ein guter Film gewesen, ein leichtherziger, lustiger Streifen - einige Male hatte sie laut aufgelacht und war deshalb auch guter Laune. Als sie jetzt mit schnellen Schritten zu ihrem Wagen ging, konnte sie am Benehmen der anderen Leute, die aus dem großen Kinocenter herauskamen, ganz genau ablesen, welchen Film sie gesehen hatten. Das war gar nicht so schwierig; die Pärchen, die sich an den Händen hielten oder sogar küssten, hatten sich offensichtlich die sexy Romanze, die aggressiven Halbwüchsigen den neuesten Thriller angeschaut. Die gutgekleideten jungen Geschäftsleute, die in eine ernsthafte Diskussion vertieft waren, kamen aus der neuesten Problemstory über zwei Freundinnen. Marlie war froh, dass sie sich die Komödie ausgesucht hatte.
    Erst als sie schon auf dem hell erleuchteten Expressway Richtung Zuhause war, wurde es ihr auf einmal klar: Sie fühlte sich prächtig - so gut wie seit Jahren nicht mehr. Seit sechs Jahren, um ganz genau zu sein.
    Verwundert blickte sie zurück und stellte fest, dass sie bereits seit einigen Monaten Ruhe gefunden hatte; doch sie war so in die gemächliche Routine des Lebens, das sie sich aufgebaut hatte, eingestiegen, dass sie es überhaupt nicht bemerkt hatte. Über Jahre hin hatte sie einfach nur existiert, hatte getan, was getan werden musste; doch die Zeit hatte im verborgenen für sie gearbeitet, und sie war geheilt; wie jemand, der sich vom Verlust eines Körperteils erholt und lernt, ohne ihn fertig zu werden, um schließlich das Leben wieder zu genießen. Doch ihr Verlust war eher geistig als körperlich gewesen, und im Unterschied zu den Menschen, denen man Arm oder Bein amputiert hatte, hatte sie in all den dunklen, endlosen Nächten gebetet, dass sie jenen entschwundenen Teil ihres Wesens nie wieder zurückbekommen möge. Irgendwann in den letzten sechs Jahren hatte sie sich von der Furcht befreit, dass ihre übernatürlichen Wahrnehmungsfähigkeiten zurückkehren würden und war ganz einfach ihren Alltagsverrichtungen nachgegangen.
    Es gefiel ihr, normal zu sein. Sie mochte es, ins Kino gehen zu können, so wie jedermann; sie liebte es, in einer Menschenmenge zu sitzen; früher war ihr das nie möglich gewesen. Vor einigen Jahren, als sie festgestellt hatte, dass sie es durchaus konnte, war sie eine Zeitlang zur passionierten Kinogängerin geworden, sie hatte förmlich die Filme verschlungen, von denen sie glaubte, sie seien harmlos. Lange Zeit war ihr jede Form von Gewalttätigkeit unerträglich gewesen, doch in den letzten Jahren hatte sie sogar ab und zu einen Thriller ansehen können, obwohl sie diese Art Film nicht gerade schätzte. Zu ihrer Überraschung jedoch brachte sie es noch nicht über sich, sich Sexszenen anzusehen; dabei hatte sie geglaubt, mit Brutalität unendlich viel schwerer fertig zu werden, vielleicht überhaupt nie mehr. Doch statt dessen war es der Anblick von Intimitäten, der ihr Probleme machte. Dr. Ewell hatte immer wieder gesagt, dass niemand je auf die menschliche Psyche wetten sollte, und zu ihrer Belustigung stellte sie fest, dass er recht gehabt hatte. Die Gewalttätigkeit in ihrem Leben war traumatisch gewesen, doch auch Liebesszenen veranlassten sie, immer noch ganz fest die Augen zu schließen, bis sie vorüber waren.
    Sie bog vom Expressway ab auf eine vierspurige Straße, und natürlich musste sie zunächst einmal nach dem Abbiegen vor einer Ampel halten. Das Radio hatte sie auf einen Sender mit leichter Musik eingestellt, und sie atmete tief durch, die langsame Musik und die Nachwirkung des fröhlichen Films zusammen gaben ihr ein Gefühl äußersten körperlichen Wohlbefindens -
    Das Messer zuckte nach unten, es leuchtete matt auf Es gab ein dumpfes Geräusch, als es zustach. Wieder hob sich die Klinge, rotes Blut tropfte davon herab -
    Marlie fuhr zurück, unbewusst versuchte ihr Körper, das schrecklich plastische Bild abzuwehren, das ihre Gedanken soeben erblickt hatten. »Nein«, stöhnte sie leise auf. Sie konnte hören, wie sich ihr Atmen beschleunigte.
    »Nein«, wiederholte sie, obwohl sie bereits wusste, dass ihr Protest zu nichts führen würde. Sie hatte die Hände um das Lenkrad gekrallt, weiß traten die Knöchel hervor, und selbst das genügte nicht, um das Zittern aufzuhalten, das an ihren Füßen begann und dann ihren ganzen Körper erfasste Benommen blickte sie auf ihre
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