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Lulu

Lulu

Titel: Lulu
Autoren: Frank Wedekind
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Prolog
    Ein TIERBÄNDIGER tritt, nachdem der aufgezogene Vorhang einen Zelteingang hat sichtbar werden lassen, in zinnoberrotem Frack, weißer Krawatte, langen schwarzen Locken, weißen Beinkleidern und Stulpstiefeln, in der Linken eine Hetzpeitsche, in der Rechten einen geladenen Revolver, unter Zimbelklängen und Paukenschlägen aus dem Zelt.
    Hereinspaziert in die Menagerie,
    Ihr stolzen Herrn, ihr lebenslust’gen Frauen,
    Mit heißer Wollust und mit kaltem Grauen
    Die unbeseelte Kreatur zu schauen,
    Gebändigt durch das menschliche Genie.
    Hereinspaziert, die Vorstellung beginnt! –
    Auf zwei Personen kommt umsonst ein Kind.
    Hier kämpfen Tier und Mensch im engen Gitter,
    Wo jener höhnend seine Peitsche schwingt
    Und dieses, mit Gebrüll wie Ungewitter,
    Dem Menschen mörderisch an die Kehle springt;
    Wo bald der Kluge, bald der Starke siegt,
    Bald Mensch, bald Tier geduckt am Estrich liegt;
    Das Tier bäumt sich, der Mensch auf allen vieren!
    Ein eisig kalter Herrscherblick –
    Die Bestie beugt entartet das Genick
    Und lässt sich fromm die Ferse drauf postieren.
    Schlecht sind die Zeiten! – All die Herrn und Damen,
    Die einst vor meinem Käfig sich geschart,
    Beehren Possen, Ibsen, Opern, Dramen
    Mit ihrer hochgeschätzten Gegenwart.
    An Futter fehlt es meinen Pensionären,
    So dass sie gegenseitig sich verzehren.
    Wie gut hat’s am Theater ein Akteur!
    Des Fleischs auf seinen Rippen ist er sicher,
    Sei auch der Hunger ein ganz fürchterlicher
    Und des Kollegen Magen noch so leer. –
    Doch will man Großes in der Kunst erreichen,
    Darf man Verdienst nicht mit dem Lohn vergleichen.
    Was seht ihr in den Lust- und Trauerspielen?! –
    Haustiere
, die so wohlgesittet fühlen,
    An blasser Pflanzenkost ihr Mütchen kühlen
    Und schwelgen in behaglichem Geplärr,
    Wie jene andern – unten im Paterre:
    Der eine Held kann keinen Schnaps vertragen,
    Der andre zweifelt, ob er richtig liebt,
    Den dritten hört ihr an der Welt verzagen,
    Fünf Akte lang hört ihr ihn sich beklagen,
    Und niemand, der den Gnadenstoß ihm gibt. –
    Das
wahre
Tier, das
wilde,
schöne
Tier,
    Das – meine Damen! – sehn Sie nur bei mir.
    Sie sehen den
Tiger
, der gewohnheitsmäßig,
    Was in den Sprung ihm läuft, hinunterschlingt;
    Den
Bären
, der, von Anbeginn gefräßig,
    Beim späten Nachtmahl tot zu Boden sinkt;
    Sie sehn den kleinen amüsanten
Affen
    Aus Langeweile seine Kraft verpaffen;
    Er hat Talent, doch fehlt ihm jede Größe,
    Drum kokettiert er frech mit seiner Blöße;
    Sie sehn in meinem Zelte, meiner Seel’,
    Sogar gleich hinterm Vorhang ein
Kamel
! –
    Und sanft schmiegt das Getier sich mir zu Füßen,
    Wenn –
(er schießt ins Publikum)
       – donnernd mein Revolver knallt.
    Rings bebt die Kreatur; ich bleibe kalt –
    Der
Mensch
bleibt kalt! – Sie ehrfurchtsvoll zu
    grüßen.
    Hereinspaziert! – Sie traun sich nicht herein? –
    Wohlan, Sie mögen selber Richter sein!
    Sie sehn auch das Gewürm aus allen Zonen:
    Chamäleone, Schlangen, Krokodile,
    Drachen und Molche, die in Klüften wohnen.
    Gewiss, ich weiß, Sie lächeln in der Stille
    Und glauben mir nicht eine Silbe mehr –
    (er lüftet den Türvorhang und ruft in das Zelt)
    He, Aujust! Bring mir unsre
Schlange
her!
    (Ein schmerbäuchiger Arbeiter trägt die Darstellerin der LULU in ihrem Pierrotkostüm aus dem Zelt und setzt sie vor dem Tierbändiger nieder.)
    Sie ward geschaffen, Unheil anzustiften,
    Zu locken, zu verführen, zu vergiften –
    Zu morden, ohne dass es einer spürt.
    (Lulu am Kinn kraulend.)
    Mein süßes Tier, sei ja nur nicht
geziert
!
    Nicht
albern
, nicht
gekünstelt
, nicht
    verschroben
,
    Auch wenn die Kritiker dich weniger loben.
    Du hast kein Recht, uns durch Miaun und Fauchen
    Die
Urgestalt
des
Weibes
zu verstauchen,
    Durch Faxenmachen uns und Fratzenschneiden
    Des
Lasters Kindereinfalt
zu verleiden!
    Du sollst – drum sprech’ ich heute sehr ausführlich –
    Natürlich
sprechen und nicht unnatürlich!
    Denn erstes Grundgesetz seit frühster Zeit
    In jeder Kunst war
Selbstverständlichkeit
!
    (Zum Publikum.)
    Es ist jetzt nichts Besondres dran zu sehen,
    Doch warten Sie, was später wird geschehen:
    Mit starkem Druck umringelt sie den Tiger;
    Er heult und stöhnt! – Wer bleibt am Ende Sieger?! –
    Hopp, Aujust! Marsch! Trag sie an ihren Platz –
    (Der Arbeiter nimmt Lulu quer auf die Arme; der Tierbändiger tätschelt ihr die Hüften.)
    Die süße Unschuld – meinen größten Schatz!
    (Der
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