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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille
Autoren: Graham Joyce
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draußen.«
    »Wo?«, fragte er.
    »Da! Schau doch nur die Lichter! Winzige Lichter!«
    Beiläufig schaute er hinaus in die Dunkelheit und suchte die wächserne Ödnis erbarmungslosen Schnees mit den Augen ab. »Ja«, murmelte er. »Ich sehe sie. Ich gehe hin und rede mit ihnen.« Aber irgendwas in seiner Stimme verriet, dass er sie überhaupt nicht sah und ihr einfach nur nach dem Mund redete.
    »Nein!«, schrie sie entsetzt. »Das darfst du nicht. Bleib hier. Bleib.«
    »Du hast recht. Du bleibst besser hier«, meinte er beruhigend, die Stimme seltsam leise und monoton, kaum mehr als ein Murmeln. »Bleib hier.«
    Er stand auf und verließ ihre geschützte Ecke. Diesmal nahm er nicht mal die Axt mit. Sie sprang auf, um ihm hinterherzuschauen, panisch, während Jake über den Schnee auf die Männer zuging. Er schien kaum mehr zu sein als eine Silhouette, die über den Schnee kroch. Er ging bis auf ein paar Meter auf die Männer zu, dann hockte er sich in den Schnee.
    Die Männer fingen an zu reden und gestikulierten angeregt mit den Händen. Doch sie konnte kein Wort verstehen. Obwohl sie angestrengt darauf lauschte, was da gesprochen wurde, wurde das Gesagte vom Wind verschluckt, der um die verbliebenen Wände des Hotels blies. Irgendwas stimmte da nicht. Es war seltsam, wie Jake mit den Männern kommunizierte. Er schaute sie gar nicht an. Er redete, und gelegentlich nickte er oder schüttelte den Kopf, als befinde er sich in irgendwelchen Verhandlungen, aber es war, als seien sie in verschiedenen Welten. Als könne er sie nicht sehen und sie ihn auch nicht.
    Diese merkwürdigen Verhandlungen dauerten eine ganze Weile; in der Zeit brannten die Kerzen zu Stummeln herunter, und das Feuer ging aus.
    Als Jake zurückkam, wirkte er sehr ernst. Er antwortete auf keine ihrer Fragen. Er fachte das Feuer wieder an und legte Holz nach.
    »Was haben die Männer gesagt?«, wollte sie wissen.
    »Das Wichtigste ist«, meinte er und zog den Deckenberg fester um sie, »dass dir warm genug ist.«
    »Weißt du, was sie wollen?«
    »Wer?«
    »Die Männer! Haben sie gesagt, was sie wollen?«
    »Ja, haben sie. Aber es fällt mir schwer, mich daran zu erinnern. Sehr schwer.« Er goss ihr noch ein Glas Cognac ein und weigerte sich beharrlich, weitere Fragen zu beantworten, ehe sie ausgetrunken hatte. Entnervt und erschöpft schluckte sie alles herunter und legte sich wieder hin. Die Müdigkeit besiegte ihre Angst, und sie spürte, wie sie wieder sanft einschlummerte.
     
    Als sie das nächste Mal aufwachte, waren auch die verbliebenen Wände des Hotels und die Decke fortgenommen worden, ebenso wie das gesamte Foyer. Das Feuer war noch da, doch es brannte fröhlich auf dem nackten Schnee, ohne den gemauerten Abzug oder den Kamin oder auch nur die bloße Feuerstelle. Jake stopfte Holz von dem arg geschrumpften Stapel ins Feuer, und die Scheite brannten unnatürlich schnell.
    »Die Kerzen sind alle weg«, meinte er mit einem schiefen Grinsen, wie einer, der aus einer hoffnungslosen Lage das Beste zu machen versucht.
    Abrupt setzte sie sich auf und schaute sich um nach einem Hinweis auf die Männer – verräterische Glut im Dunkeln, irgendwelche Bewegungen. Aber da war nichts. Sie schaute hinauf in den offenen Himmel. Die Sterne waren zu einer gefrorenen Kaskade erstarrt, funkelten milliardenfach, eine Armee halbsterblicher Gottheiten. Sie schnappte nach Luft, und ihr Atem kondensierte in der eisigen Kälte.
    Dann war wieder das Heulen zu hören, gefolgt von dreimaligem klaren Bellen, und als sie über den Schnee schaute, sah sie einen Hund auf sie zulaufen. Jake sprang hastig auf. »Das ist Sadie!«, rief er. »Sie ist wieder da!«
    Wie eine fliegende Kanonenkugel schoss Sadie auf Jake zu, und er lief ihr freudestrahlend entgegen. Zur Begrüßung sprang Sadie an ihm hoch, wedelte mit dem Schwanz, winselte und leckte ihm das Gesicht ab. Gemeinsam trollten sie durch den Schnee. »Es ist Sadie«, rief Jake Zoe zu. »Ich glaube einfach nicht, dass sie wieder da ist!«
    Zoe schaute zu, wie der Hund sich langsam wieder beruhigte. Es kam ihr fast vor, als führten die beiden ein stummes Zwiegespräch. Sadie reckte den Hals und zeigte mit der feuchten Schnauze zum Mond, als Jake sie zwischen den Ohren kraulte. Wieder schnuffelte sie ihm ins Ohr.
    Er hörte auf, sie zu streicheln, und wurde ganz ruhig.
    Ein drittes Mal schnüffelte der Hund ihm am Ohr. Jakes Kopf kippte nach vorn. Er wurde ganz ruhig, die Hände flach auf Sadies Flanken gelegt. So
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