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Nicht schießen, Johnny!

Nicht schießen, Johnny!

Titel: Nicht schießen, Johnny!
Autoren: John Ball
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1. Kapitel

    Es war kurz vor der Sommersonnenwende, und die Sonne hatte den ganzen Tag über hoch am wolkenlosen Himmel gestanden. Obwohl es auf den Abend zuging, war die Luft überall in Südkalifornien drückend schwül. Der Santa-Ana-Wind hatte den Morgennebel längst hinweggefegt, und die Berge, die das Becken von Los Angeles umgaben, wirkten klar und zum Greifen nahe. Da es zwischen den einzelnen Stadtteilen noch immer keine geeigneten Nahschnellverkehrsstraßen gab, waren die Autobahnen nun in der Hauptverkehrszeit von Fahrzeugen verstopft. Und während die Autofahrer schwitzend in endlosen Kolonnen dahinkrochen, konnten sie am blauen Himmel den blassen zunehmenden Mond betrachten.
    Gleich zahllosen anderen Hausfrauen im Gebiet der großen Stadt war Maggie McGuire gerade dabei, geeisten Tee fürs Abendessen vorzubereiten. Sie hieß eigentlich Margaret, aber in dem Teil von Tennessee, in dem sie aufgewachsen war, hat man für Förmlichkeiten nicht viel übrig. Folglich war sie lange vor ihrem allerersten Schultag Maggie genannt worden, und dabei war es seit ihren inzwischen fast vergessenen Mädchenjahren geblieben. An diesem heißen, schwülen Juniabend war sie von ihrer alten Heimat weit entfernt und noch immer Maggie. Mike, ihr Mann, nannte sie nie anders.
    Sie hantierte mechanisch in der engen Küche herum. Sie hatten das kleine Apartment gleich nach ihrer Ankunft in Los Angeles gemietet, weil es zwei Schlafzimmer aufwies und sie sich die Miete dennoch leisten konnten, gerade noch. In Maggies Augen verdienten jedoch die zwei kleinen Zellen kaum die Bezeichnung >Schlafzimmer<. Beide waren so schmal, daß außer einem Doppelbett kaum etwas hineinging. Im Zimmer ihres kleinen Jungen stand nur ein Einzelbett, was ihnen erlaubt hatte, wenigstens noch einen billigen Schrank und einen wackligen Tisch darin unterzubringen.
    Maggie warf einen Blick auf die Uhr. Mike mußte bald heimkommen, und wie immer hoffte sie, daß er gut aufgelegt sein würde. Sie hatte keinen bestimmten Grund zur Beunruhigung, aber man konnte nie wissen. Ihr mit so viel Zuversicht und Eifer betriebener Umzug nach Kalifornien hatte sich bisher nicht besonders gut angelassen. Vielleicht hatten sie sich in zu kurzer Zeit zu viel erwartet, aber es war ihr nicht entgangen, daß Mikes Unzufriedenheit in den letzten drei Wochen ständig gewachsen war.
    Ihr eigenes Leben verlief gleichförmig; sie besorgte den Haushalt, schlief mit ihrem Mann und kümmerte sich um Johnny. Sie vergötterte ihren Sohn, obwohl Mike in letzter Zeit dazu neigte, den Jungen als ein Teil seiner selbst zu betrachten und ihn nahezu ganz für sich beanspruchte.
    Durch die dünne Wand konnte sie hören, daß Johnny in seinem Zimmer der Übertragung eines Baseballspiels lauschte. Das kleine japanische Transistorradio war alles, was sie ihm zu seinem neunten Geburtstag hatten schenken können; das war vor drei Wochen gewesen. Johnny schien alt genug zu sein, um zu verstehen, daß sie sich aus ihm unbekannten Gründen mehr einschränken mußten als einige der Familien, die ringsherum wohnten.
    Als die Wohnungstür aufschwang und Mike fast lautlos hereinkam, hielt Maggie die Luft an, denn das war kein gutes Zeichen. Sie entspannte sich, als er sie flüchtig auf die Stirn küßte, weil es bewies, daß er nicht auf sie böse war. Sie beobachtete, wie er in die zwei Töpfe auf dem Herd schaute, um zu sehen, was sie ihm zum Dinner vorsetzen würde; dann ging er in das drei mal drei Meter fünfzig große Wohnzimmer und ließ sich auf dem kunstledernen Sofa nieder.
    Maggie erkannte die Stimmung ihres Mannes: er war irgendwie gedemütigt worden, und Geringschätzung war das einzige, was Mike nicht ertragen konnte. Wie schon so oft zuvor erinnerte sie sich daran, daß er ein stolzer Mann war. >Stolz< war ein gutes, ein achtbares Wort, hatte nichts zu tun mit Ausdrücken wie >mürrisch<, >rabiat< oder gar >gemein<. Mike war nichts von alledem; jemand hatte ihr mal gesagt, daß er eigenwillig wäre. Das war die richtige Bezeichnung - eigenwillig, ein Mann, der sich nicht leicht unterkriegen ließ.
    So stellte sie sich ihn am liebsten vor.
    Sie trug das einfache Essen auf und rief ihre Männer. Mike kam wieder herüber und setzte sich an den Küchentisch, der zum mitgelieferten Mobiliar gehörte. Johnny, der sofort spürte, daß sein Vater mißgestimmt war, schlüpfte behutsam auf seinen Platz. Mehrere Minuten lang herrschte angespanntes Schweigen; alle drei aßen, und Maggie und ihr Sohn
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