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Der Tod macht den letzten Schnitt

Der Tod macht den letzten Schnitt

Titel: Der Tod macht den letzten Schnitt
Autoren: Nancy Livingston
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Prolog
     
     
    Das Haus lag in der Blake Road in
Hendon — eine unauffällige Doppelhaushälfte aus den zwanziger Jahren, und die
Zeit hatte jeglichen Glanz genommen.
    Die Erstbesitzer, ein frisch
verheiratetes junges Paar, hatten ihr neues Heim gehegt und gepflegt und jeden
Penny investiert, um es wohnlich zu machen — mit taubenblau gestrichenen
Wänden, Schalensesseln, Chintzvorhängen...
    Die Familien, die später einzogen,
waren nachlässiger, und als Nordlondon von Durchgangsstraßen zerschnitten wurde
und Lärm und Dreck zunahmen, erlahmte ihr Interesse vollends. Das Leben ging
weiter. Etwa alle zehn Jahre wechselten die Besitzer, bis eine Familie sich auf
Dauer einrichtete: ein Mann, seine Frau und beider Töchterchen. Vierundzwanzig
Jahre später lebte dort nur noch einer von ihnen, der Mann.
    Er lag, wie es seine Gewohnheit war,
angezogen auf der verschlissenen Tagesdecke und starrte gegen die Decke. Er
nahm keine Notiz mehr von dem hektischen Durchgangsverkehr. Für ihn war sein
Haus still, voller Erinnerungen, aber ohne Wärme, ohne Leben, seit seine Tochter
Anne getötet worden war.
    Als seine Frau sie verlassen hatte,
blieb er im Haus wohnen und zog das Kind allein auf. Und nach dem ersten
Schmerz um Margery merkte er, daß sie ihm im Grunde gleichgültig war — einzig
Anne zählte.
    Wenn er von der Arbeit heimkam, war sie
da, linste durch die Gitterstäbe des Vorgartentors und hielt nach ihm Ausschau.
    Er hatte eine mütterliche Nachbarin
gefunden, die das kleine Mädchen betreute und es gemeinsam mit ihm
gesundpflegte, wenn es Masern oder Mumps hatte. Er hatte sein dünnes
Töchterchen zu einem jungen Mädchen heranwachsen sehen — kein auffallend
hübsches Mädchen, dafür war sie ihm wohl zu ähnlich, aber mit ihrem scheuen,
empfindsamen Wesen die hellste Freude. Nach Abschluß ihrer Ausbildung als
Sekretärin hatte sie einen sehr guten Job gefunden, den sie beide an jenem
Abend gebührend hatten feiern wollen, als ihr Leben beendet wurde — vor nicht
ganz fünf Jahren, vor eintausendsiebenhundertunddreißig Tagen. Es war geradezu
absurd gewesen, daß der Richter immer von einem tragischen Unfall geredet
hatte. Der Mann wußte es besser. Unfälle passieren, gewiß, aber nicht so. Annes
Bild stand auf seinem Nachttisch, ein zweites hing an der Wand. Aber ihr Vater
brauchte keines von beiden, um das tote Gesicht vor sich zu sehen — dort, im
Leichenschauhaus.
    Er hatte gegen seinen Haß angekämpft,
er hatte versucht zu verzeihen. Aber vor Wochen hatte er aufgehört, zur Kirche
zu gehen, weil ihm plötzlich wie eine Erleuchtung offenbar wurde, was er zu tun
hatte. Die Spannung war von ihm gewichen und ließ ihn geschwächt und ausgepumpt
zurück. Aber die Kraft würde wiederkommen, wenn er erst seine Aufgabe erfüllt
hätte. Daran glaubte er fest mit jeder Faser seines Herzens. Dann endlich würde
er Frieden finden. Gott hatte ihm den Weg gewiesen: die Zeit zum Handeln war
gekommen — er fühlte sich wie erlöst. Unwissende mochten es Vergeltung nennen —
Auge um Auge, ein Leben für ein Leben — , für ihn war es schlicht
Gerechtigkeit.

Schnitt
in den Brustkorb
     
    Rainbow Television. Montag morgen
     
    Von den drei Leuten in der Regie des
Studios war nur einer aufgeregt, der Regisseur. Zu seiner Überraschung
pulsierte Adrenalin in seinen mürben Arterien, und er rutschte vor Glück über
seine Schöpferkraft auf seinem Sessel hin und her.
    «Näher, die Vier! Näher ran, näher — HALT!»
    Er war schweißnaß — das Unterfangen,
sein bescheidenes Talent zu überfordern, hatte seinen Preis. Die Bildmischerin
blätterte gelangweilt in einem Magazin. Pat, die Produktionsassistentin, die
PA, wie sie kurz genannt wurde, mußte aufpassen. Sie entschied korrekt, daß die
Szene lange genug gelaufen sei, und drückte auf die Stoppuhr.
    «Band ab. Achtung für Einsatz Jacinta.
Szene achtundachtzig als nächste auf Drei. Fertig, Nachspann.» Würde dieser
Schwachkopf Bernhard je fertig?
    «Augenblick! Ich habe nicht gesagt, daß
ich zufrieden bin. Im Gegenteil.» Seine Hektik hatte einer verwunderlichen
Erregung Platz gemacht. «Robert! Ist die Maske in der Nähe?»
    Eine Geisterstimme antwortete durch den
Kontrollautsprecher: «Steht neben mir, Bernhard. Geht es um das Blut?»
    «Und ob es ums Blut geht! Laut Drehbuch
hat Margarite eine Prellung und eine leicht blutende Schürfwunde auf der Wange.
Sie soll nicht im Blut schwimmen. Zweiter Punkt: Margarite hat vergessen, die
Augen zu öffnen und
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