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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille
Autoren: Graham Joyce
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zu deiner Beruhigung, nicht zu meiner.«
    »Warum hast du keine Angst, Jake? Diese ganze Umgebung macht mir eine Heidenangst. Ich möchte endlich wissen, was mit uns passiert, mit unserem Baby.«
    »Ich kann dir nicht sagen, warum ich keine Angst habe. Ich weiß bloß, dass ich auf dich aufpassen muss.«
    »Was passiert mit unserem Baby? Was passiert hier?«
    Jake seufzte. Es war ein Seufzen, das verriet, dass er die Antwort darauf nicht kannte. Er machte den Mund auf, als wolle er etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. Dann formte er mit den Lippen ein stummes O, als wolle er abermals ansetzen. Aber er wurde unterbrochen. Zoes Handy klingelte.
    Es klingelte aus der Innentasche ihrer Jacke, die sie unter der Bettdecke anhatte. Sie riss es förmlich heraus.
    Entschieden nahm Jake es ihr aus der Hand. »Lass mich rangehen.«
    Er drückte auf den Knopf und hielt sich das Mobiltelefon ans Ohr. Er verzog keine Miene. Er sagte kein Wort. Dann schaltete er das Handy wieder aus und reichte es ihr zurück.
    »Wer war denn dran? Was hat er gesagt?«
    »Dasselbe wie beim letzten Mal.«
    »Hat die Stimme wieder la zone gesagt? Hat sie das gesagt? Die Zone?«
    »Es war schwer zu verstehen, aber ich glaube nicht, dass er la zone gesagt hat. Er sagte laissez sonner . Das heißt: Lassen Sie es klingeln . Laissez sonner . Und dann war die Verbindung tot.«
    »Er möchte, dass ich es klingeln lasse?«
    »Das hat er zumindest gesagt.«
    »Warum sollte er denn so was sagen? Laissez sonner. Warum sollte er uns sagen, wir sollen es klingeln lassen?«
    »Keine Ahnung.« Jake kontrollierte, wie stark der Akku noch war. »Hier ist nicht mehr viel Saft drauf. Aber ich finde, wir sollten es beiseitelegen, und wenn es noch mal läutet, dann lassen wir es einfach klingeln.«
    »Warum?«
    »Weil er das gesagt hat …«
    »Aber woher willst du wissen, dass es gut wäre? Woher willst du wissen, dass dieser Jemand uns nicht was zuleide tun will? Vielleicht halten wir ihn uns vom Leib, indem wir rangehen. Hast du daran schon mal gedacht?«
    »Niemand will uns was zuleide tun.«
    »Wie kannst du das sagen? Das weißt du doch gar nicht!«
    »Uns kann niemand mehr etwas zuleide tun.«
    Zoe legte die Hände auf den Bauch. »Ich wünschte bloß, das könnte ich glauben. Kann ich aber nicht. Wer ruft uns hier an? Wer sind diese Männer da draußen?«
    »Du fieberst ja. Komm her, wärm dich auf.« Er warf noch ein paar Holzscheite ins Feuer. »Diese verdammten Holzklötze! Die halten keine fünf Minuten!«
    Jake stand auf und legte Zoes Handy auf die Rezeptionstheke. Dann setzte er sich wieder neben sie, und sie beobachteten das Telefon aus nächster Nähe, als könne es sich plötzlich spontan selbst entzünden wie ein Zimmerfeuerwerk.
    Es klingelte nicht.
    Inzwischen klapperte sie wieder mit den Zähnen. Sie fieberte, aber es war ein kaltes Fieber; ihr wurde einfach nicht mehr warm. Jake begrub sie fast unter Decken, legte noch mehr Feuerholz nach, und während er ihr den Rücken zukehrte, schaute sie aus dem Fenster.
    Da war es wieder, das Gesicht. Die untere Hälfte war hinter einem Schal verborgen. Unruhige Augen, ein Hauch von Rot oberhalb des Schals. Die Augen sahen aus wie stecknadelkopfgroße Flammen, winzige Lichtpunkte. Die halb verhüllten Lippen bewegten sich und formten unhörbare Worte.
    Gerade wollte sie Jake warnen, als plötzlich das Fenster splitterte und brach und es Glasscherben regnete. Die warme Luft aus dem Foyer entwich mit einem Mal in die Dunkelheit, und der Wind von draußen fuhr tosend und heulend herein und schickte einen eiskalten Luftschwall in den Raum, der in das Feuer fuhr und drohte die Flammen auszulöschen. Der Wind kreischte, und der Nebel brodelte zu dem zerbrochenen Fenster herein wie eine Schar befreiter Schreckgespenster, unheilvoll, bösartig, suchend.
    Jake sprang auf und packte eine der Matratzen. Er schleppte sie zum Fenster und rammte sie gewaltsam in das entstandene Loch, stopfte sie hinein, bis auch die kleinste Lücke verschlossen und der heulende Wind ausgesperrt war.
    Zoe zitterte so heftig, dass sie keinen Ton mehr herausbekam, um ihm zu sagen, was sie draußen am Fenster gesehen hatte, ehe die Scheibe eingedrückt worden war.
    Er meinte: »Ich hole dir erst mal einen Cognac.«
    Obwohl sie wusste, dass er nicht länger als eine, vielleicht zwei Minuten fort war, sah sie währenddessen doch, wie die Sicht draußen gegen null ging, als würde sie einem präzisen mathematischen Kommando folgend
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