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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille
Autoren: Graham Joyce
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zu überqueren, ohne dass sie uns sehen, kann nichts mehr passieren.«
    Der Dunst war fast undurchdringlich, und Zoe betete, dass sie es ungesehen zurück zum Hotel schafften. Die Plane schleifte geräuschvoll durch den Schnee, so laut, dass die Männer es ganz bestimmt hören mussten. Sie packte zwei Ecken und drängte Jake, die beiden anderen Zipfel zu nehmen, damit sie die Ladung geräuschlos transportieren konnten.
    Als sie zu der kritischen Stelle kamen, war der Nebel dicht genug, um ihnen Deckung zu geben, und obwohl sie nicht sehen konnte, ob die Männer noch auf ihrem Beobachtungsposten waren, spürte sie, dass sie nicht weit sein konnten. Die vollbepackte Plane war schwer, und sie kamen nur mühsam voran; doch zur anderen Straßenseite war es nicht weit, und innerhalb kurzer Zeit hatten sie den Hintereingang des Hotels erreicht und schleppten ihre Last in die Küche. Kaum waren sie drinnen, schlug Zoe die Tür zu und legte den schweren Riegel vor.
    »Wo sind sie?«, wollte Jake wissen.
    »Sie beobachten die Frontseite. Sie sind zu dritt, und sie warten darauf, dass sich irgendwas tut.«
    »Ich muss rausgehen und mit ihnen reden.«
    »Bitte, tu das nicht! Bitte nicht!«
    »Ich muss.«
    »Du musst gar nichts, Jake! Wir können einfach hier drinbleiben! Hier sind wir sicher! Es ist warm! Wir haben genug zu essen! Wir brauchen gar nichts zu tun. Bitte, geh nicht zu denen raus.«
    Doch er ignorierte sie und marschierte schnurstracks durch die Küche, durchquerte zielstrebig das Restaurant und ging in die Hotelhalle, während Zoe verzweifelt versuchte, ihn zurückzuhalten. Er ging zur Feuerstelle und nahm die Axt, die noch dort lag, wo er Holz gehackt hatte. Dann steuerte er auf die Tür zu. Zoe lief ihm hinterher, warf sich zwischen ihn und die dicke Glastür des Foyers und flehte ihn weinend an, nicht nach draußen zu gehen.
    »Verstehst du denn nicht, warum ich hinausgehen und herausfinden muss, was sie wollen? Verstehst du das nicht? Hör zu. Alles wird gut. Du kannst hierbleiben oder mitkommen. Aber ich glaube, du bleibst besser hier, und in ein, zwei Minuten bin ich wieder da und erzähle dir, was sie wollen.«
    Die Hand vor den Mund gepresst sah sie ihm hinterher, als er nach draußen ging, in den Dunst hinein, der zu undurchdringlichem Nebel geworden war, die Axt in der Hand. Er ging in den Nebel hinein und wurde verschluckt.
    Zoe stand hinter der Glastür, die Augen auf einen unsichtbaren Punkt gerichtet, und zählte die Sekunden. Sie wartete eine Minute, zwei vielleicht, doch dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie hielt es nicht mehr aus, dazustehen und hinauszustarren und zu warten. Sie rannte nach draußen, ihm hinterher, und rief nach ihm, lief durch den Nebel, bis sie ihn schließlich da stehen sah, reglos, die Axt noch immer in der Hand.
    Sie lief zu ihm und fiel ihm um den Hals.
    »Wo?«, fragte er. »Wo waren sie?«
    »Sie waren genau hier. Ich schwöre es dir. Genau hier. Einer von ihnen hat an diesem Felsen gelehnt. Und einer hat seinen Fuß auf den Stein da gestützt. Guck mal! Da liegt eine von ihren Zigaretten. Sie qualmt noch. Sie sind hier, Jake, sie sind hier!«
    Damit bückte sie sich, hob die Zigarettenkippe auf und zeigte sie ihm. Der Tabakrest glühte schwach in der frostigen, wirbelnden Luft.
    »Na ja, womöglich waren sie hier, aber jetzt sind sie weg.«
    Jake klemmte sich die Axt unter den Arm und legte die Hände wie ein Megafon an den Mund. »Zeigt euch!«, schrie er in den Nebel. »Zeigt euch!« Doch sein Schrei verhallte ungehört, er konnte den gefrierenden Nebel nicht durchdringen, und so schien er daran zu zerschellen und zerbrochen in den Schnee zu fallen. Wieder wog er den Axtstiel in der Hand und machte ein paar Schritte nach vorn. Der eiskalte böige Wind zerrte an seinen Haaren, und der Dunst bauschte sich wabernd um ihn.
    »Geh nicht außer Sichtweite«, rief Zoe ihm hinterher.
    Doch er ging unbeirrt noch ein paar Meter weiter und nach links, spähte angestrengt in den rauchigen Dunst, sah aber nichts, stapfte weiter, fast so weit, dass sie ihn nicht mehr sehen konnte, während die Nebelschwaden sich um ihn kräuselten. Zoe drehte sich zum Hotel um. Ein Gesicht stierte ihr entgegen, nur Zentimeter von ihrer Wange entfernt. Der Mund war teilweise mit einem Schal bedeckt. Augen starrten sie aus tief liegenden Höhlen an. Der Atem aus dem Mund, der wie eine klaffende Wunde im Gesicht über dem Schal wirkte, gerann auf ihrer Wange.
    Sie schrie.
     
    Als sie wieder zu sich
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