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Schmerzspuren

Titel: Schmerzspuren
Autoren: C. Bertelsmann
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Raufasertapete auf der Bühne hätten. DerVorhang würde aufgehen und man würde nur diese Streifenwand sehen und dann käme Max rausgesprungen. Ich muss lachen. Stelle mir gerade vor, wie Max von hinten gegen
die Tapete rennt und zurückprallt. Er ist ein bisschen schmal. Womöglich ist die Wand stärker. Ich verwerfe den Gedanken.
     
    Ich bin spät dran. Könnte mich in den Arsch beißen. Wenn die andern zu spät zur Probe kommen, reg ich mich immer total auf. Und heute habe ich irgendwie die Zeit nicht im Griff. Ich stürme völlig verschwitzt ins Jugendhaus und haue Lea die Tür fast vor den Kopf. Was macht die denn noch hier oben? Hätten ja auch schon mal ohne mich anfangen können. Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Hand. Auf ihrer Hüfte. Ein komischer Film fängt an. Ich bin hinter Glas. Ich nehme ihren Arm.
    »Komm. Wir können anfangen.«
    Ich sehe diesen Typen, die Hand, schmutzige Fingernägel. Auf der Treppe halte ich immer noch ihren Arm. Als wolle sie weglaufen. Sie geht nicht zum Mikro. Macht die Tür zu, lehnt sich dran.
    »Ich habe nicht so tolle Neuigkeiten. Ich steige aus.« Die Worte hängen in der Luft. Prallen wie fliegende Billardkugeln von den Wänden, treffen mich im Bauch, bleiben mir im Hals stecken.
    »Ich schaff das einfach nicht mehr. Ich habe die Schule total vernachlässigt, meine Eltern steigen mir aufs Dach.«
    Ich hasse sie. Dieses kleine Miststück.
    »Vielleicht solltest du einfach weniger Krankenschwester spielen«, sage ich kalt.
    »Krankenschwester?«
    »Der Typ oben hatte doch wohl gerade einen Schwächeanfall oder warum musste der sich an dir festhalten?«

    Sie schaut wütend zurück.
    »Manche Typen werden halt schwach bei mir.«
    »Der hat dir den Arsch getätschelt, als wärst du ein Brauereipferd.«
    »Ben!«, warnt Max mich.
    »Vielleicht können wir ja den einen Auftritt noch machen. Damit sich die ganze Arbeit gelohnt hat«, wirft Benny ein.
    »Das könnte gehen. Dafür müssten wir nicht mehr so oft proben«, räumt Lea ein.
    »Spinnst du?«, brülle ich und weiß gar nicht, wen ich meine.
    »Einen Auftritt und dann beerdigen wir die Band? Und Lea kommt nur mal kurz zum Singen runter und lässt sich ansonsten oben den Hintern wundreiben? Nicht mit mir.«
    »Wir machen einfach ohne Lea weiter. Dann singe ich wieder mehr. Oder wir suchen uns eine andere Sängerin?«
    »Vergesst es. Es ist aus. Die New Cars sind soeben auf dem Schrottplatz gelandet. War wohl eine Fehlkonstruktion.«
    Ich stecke meine Stöcke ein, mache die Tür leise hinter mir zu, lasse die Band zurück. Das war es. Ende. Aus. Vorbei. Ich gehe nach Hause. Ich bin nicht wütend. Auch nicht traurig. Bin betäubt. Spüre nicht die Klinge. Das Blut schmeckt wie immer ein bisschen metallisch. Ich ziehe direkt eine Spur daneben. Fühle es kaum. Beim dritten Mal endlich Schmerz. Endlich etwas, das größer ist, tiefer ist.
     
    Ich bearbeite das Diktafon mit dem Messer. Immer wieder haue ich die Klinge in das Plastik. Es reicht nicht. Ich
werfe das Teil an die Wand. Immer wieder. Es reicht nicht. Ich muss den Kopf gegen die Wand hauen. Mein Handy ist ziemlich gut. Ich kann unerwünschte Nummern eingeben. Dann klingelt es erst gar nicht. SMS werden sofort zurückgeschickt. Ich gebe vier Nummern ein.
     
    Es dauert eine Woche, bis ich mich wieder in den Probenraum traue. Ich horche oben, habe Schiss, von unten Musik zu hören. Doch da ist nichts. Ich setze mich ans Schlagzeug. Aus der Tasche hole ich das Teppichmesser. Die Trommeln sind straff bespannt. Wie Haut. Faltenlos. Sie warten auf den Schlag. Ich stelle mir vor, ich ritze in die Hihat, in diese goldenen Scheiben. Bei dem Ton stellen sich alle Haare auf dem Rücken, im Nacken hoch. Das ist schlimmer als mit Kreide über die Tafel quietschen. Schlimmer als mit dem Fingernagel über die Herdplatte gehen. Schlimmer als mit einem Nagel über eine Glasscheibe fahren. Schlimmer und schriller. Ich nehme das Messer langsam von dem Metall, zöger kurz und verschone das Schlagzeug. Ich drücke die Klinge in meine Haut. Schneide langsam und konzentriert. Das Blut kommt gemächlich. Es ist die Kunst, flach und gleichzeitig tief genug zu schneiden. Ich stelle mir vor, wie die Zellen versuchen, ihr Leben zu retten. Auszuweichen. Wie sie dennoch mittendurch gespalten werden. Aufplatzen. Aufschreien.
     
    Der erste Ferientag. Das Zeugnis liegt seit gestern Mittag ungelesen in meiner Tasche. Meine Mutter klopft an. Ich liege auf dem Bett.
    »Darf ich es wohl mal
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