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Schmerzspuren

Titel: Schmerzspuren
Autoren: C. Bertelsmann
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sehen?«

    Ich deute mit dem Kopf in Richtung Schultasche. Verschränke die Arme wieder hinter dem Kopf, starre an die Wand. Sie überfliegt es kurz.
    »So viele entschuldigte Fehlstunden?«, fragt sie leise.
    Ich antworte nicht. Was auch? Die Noten scheinen sie nicht zu interessieren.
    »Ansonsten ist es ja echt klasse. »
    Das kommt mir zu spät. Außerdem glaube ich ihr nicht.
    Aus dem Fenster sehe ich, wie nebenan ein Auto bepackt wird. Die Zwillinge sind zwei, drei Jahre jünger als ich und schleppen echt noch Kuscheltiere an. Philipp hatte letztes Jahr auch so ein Zottelmonster mit. Es war wohl mal ein Hund gewesen. Vor Urzeiten. So genau konnte man das nicht mehr sagen. Das Plüschknäuel hatte den einfallsreichen Namen »Fell«. Am Anfang hatte Philipp den immer ganz unten in seinem Schlafsack versteckt, aber irgendwann gehörte Fell dazu. Ein paarmal haben wir andere Camper verarscht und ihnen zugerufen: »Kommen Sie besser nicht zu nahe, wir haben einen Hund dabei.« Einer von uns musste dann immer im Zelt sitzen und brüllen: »Nein, Fell, du bleibst hier. Hör auf. Fell, Platz. Wo hast du denn jetzt diese Katze her?« und so was.
     
    Meine Mutter ruft nach mir.
    »Ben, Telefon.«
    Ich gehe langsam runter. Als ich auf der letzten Treppenstufe bin, sagt sie »Es ist Lea.«
    »Sag ihr, ich hab mich erhängt.«
    Ich gehe wieder hoch. Keine Ahnung, ob meine Mutter es wirklich ausrichtet. Aber ich habe ihren Blick gesehen,
als sie das Zeugnis angucken wollte. Sie hatte auch meine Arme gesehen. Auf dem Bett waren die Ärmel hochgerutscht und ich hatte irgendwie vergessen, sie wieder runterzuziehen. Natürlich ist es super nervig, bei 30 Grad im Schatten mit langärmeligen Shirts rumzulaufen. Als ich sogar beim Bäcker angesprochen werde: »Ist das nicht ein bisschen warm?«, antworte ich laut: »Ja, aber ich habe Hautkrebs. Da ist das der beste Schutz.«Wortlos werde ich bedient.
     
    Ich habe meinen Haustürschlüssel schon in der Hand und bleibe erschrocken vor Benny und Tom stehen. Die beiden sitzen vor unserer Haustür. Lauern mir auf.
    »He, Alter«, beginnt Benny und es klingt so überzeugend fröhlich wie bei einem Schülertheater. Ich gucke die beiden nur an.
     
     
    »Ben. Hör auf zu schmollen. Wir können ja verstehen, dass du enttäuscht bist. Aber Lea hat mit uns gesprochen. Das mit der Schule war natürlich nur die halbe Wahrheit. Sie hat sich wohl verknallt. Max hat uns übrigens erzählt, dass sie in der Schule bei fast allen unten durch ist. Die lässt auch ihre besten Freundinnen einfach wegen nichts fallen und sucht sich ohne Grund andere. Und jetzt ist unsere Lea halt mal verknallt. Irgendwie tut es ihr aber auch leid.«
    »Die Arme«, lache ich höhnisch.
    »Sie ist halt genauso eine Ziege wie alle. Was soll’s? Wir haben doch auch vorher schon Musik gemacht. Bevor es Lea gab. Lass uns da wieder anfangen.«
    Benny klingt echt bittend.

    »Vergiss es. In unserer Band war Feuer. Das war ein Funkenflug. Aber die liebe Lea hat reingepisst. Jetzt ist alles verkokelt, nass, dreckig. Da lässt sich nichts mehr anzünden.«
    Ich lasse die beiden stehen.
     
    Keine Ahnung, wo ich sein möchte. Weiß nur, wo ich nicht sein will. In meiner Haut zum Beispiel. Bin irgendwie außer mir. Manchmal hört es sich so an, als würde etwas in mir schreien. Ich presse meine Lippen aufeinander, aber mein Mund öffnet sich nach innen und brüllt. Es hallt in meinem Kopf. Weiß nicht, was. Will ich auch gar nicht. Bin viel unterwegs. Komme an der alten Fabrik vorbei. Die Typen sind nicht da, aber ihr Müll kennzeichnet den Raum. Der Ort ist verbrannt. In der Wohnung von Philipp wohnt eine neue Familie. Ein paarmal sehe ich den kleinen Jungen im Garten. Er hat das Wunschlos-glücklich-Paket. Sandkasten, Rutsche, Basketballkorb, Tor, Klettergerüst. Die Mutter liebt offenbar kitschige Blumen. Philipps Mutter würde die Krise kriegen. Die stand mehr auf Unkraut. Bei ihr waren das Wildkräuter. Die hat uns mal eine Brennnessel-Suppe aufgetischt.
    Bei uns im Garten steht auch wieder das Fußballtor. Das erste Mal seit meinem Geburtstag. Wie lange ist das her? Drei oder vier Lichtjahre? Mein Vater hat sogar das Netz repariert. Neben dem Monsterbecken ist leider kein Platz mehr zum Pöhlen. Und in mir ist keine Lust mehr.
    »Wie sieht es aus, Ben? Traust du dich, gegen deinen alten Vater anzutreten?«, ruft mein Dad mir zu.
    Ich winke ab.

    »Das Feld reicht nicht mal für Sitzfußball.«
    »Dann stellen wir das Tor in
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