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London Boulevard - Kriminalroman

London Boulevard - Kriminalroman

Titel: London Boulevard - Kriminalroman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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I m Gefängnis habe ich gelernt: Kompulsiv ist, wenn man etwas immer wieder macht. Obsessiv, wenn man immer wieder an etwas denkt.
    Natürlich habe ich auch noch ein paar andere Sachen gelernt. Die sind aber weniger eindeutig.
    Nicht so klar definierbar.
    Am Tag meiner Entlassung bat mich der Gefängnisdirektor zu sich.
    Er saß über den Schreibtisch gebeugt und ließ mich warten. Studierte mit gesenktem Kopf Unterlagen, ein Vorbild an Beflissenheit. Da war eine kahle Stelle, wie bei Prinz Charles. Sie gab mir ein gutes Gefühl. Also konzentrierte ich mich darauf. Endlich sah er hoch und sagte:
    »Mitchell?«
    »Ja, Sir?«
    Ich kannte das Spiel. Von der Freiheit trennte mich nur noch eine Zigarettenlänge. Da wurde ich nicht leichtsinnig. Dem Akzent nach kam er irgendwo aus dem Norden. Klang jetzt zwar geschliffen, aber nach wie vor quollen Yorkshire Pudding und der ganze Scheiß durch sämtliche Ritzen. Er fragte:
    »Sie waren jetzt wie lange bei uns?«
    Als ob er’s nicht wüsste. Ich meinte:
    »Drei Jahre, Sir.«
    Er hmmmte, als wollte er’s nicht so richtig glauben. Durchblätterte meine Akte und sagte:
    »Die vorzeitige Entlassung auf Bewährung haben Sie abgelehnt.«
    »Ich wollte meine Schuld in vollem Umfang absitzen, Sir.«
    Der Schließer hinter mir schnaubte verächtlich. Zum ersten Mal sah mich der Gefängnisdirektor jetzt direkt an. Fixierte mich. Dann:
    »Sagt Ihnen der Begriff Rückfallkriminalität etwas?«
    »Sir?«
    »Wiederholungstäter, die aufgrund einer Art Obsession immer wieder im Gefängnis landen.«
    Ich lächelte müde, sagte:
    »Ich glaube, Sie verwechseln obsessiv mit kompulsiv«, und erklärte ihm den Unterschied.
    Er stempelte meine Papiere ab, sagte:
    »Sie kommen wieder.«
    Ich wollte erwidern: »Nur als Wiederholung im Nachmittagsprogramm«, hatte aber den Eindruck, dass er die Anspielung auf Arnie und den Terminator nicht kapieren würde. Am Tor meinte der Schließer:
    »Keine gute Idee, dem blöd zu kommen.«
    Ich hob die rechte Hand und sagte:
    »Was habe ich sonst zu bieten?«
    Ich stand draußen vor dem Gefängnis, wartete. Ich sah mich nicht um. Wenn das abergläubisch ist, kann ich’s auch nicht ändern. Beim Rumstehen, da auf der Caledonian Road, fragte ich mich, ob ich wie ein Sträfling aussah, ein entlassener Sträfling.
    Verschlagen.
    Ja, und zwielichtig. Das auch.
    Ich war fünfundvierzig Jahre alt. Bei genau einsachtzig Körpergröße brachte ich 82 Kilo auf die Waage. Aber 1a durchtrainiert. Ich hatte im Fitnessraum rangeklotzt und einiges gestemmt. Hatte meinen Schweinehund besiegt und Endorphine freigesetzt. Ein natürliches Rauschgefühl. Scheiße, kann man so was im Bau überhaupt brauchen? Schwitzen bis du nicht mehr kannst und trotzdem weitermachen. Mein Haar war weiß, aber noch dicht. Meine Augen sind dunkel, wie meine Seele. Meine Nase fies gebrochen, was mein großzügiger Mund aber fast wieder wettmacht.
    Großzügig!
    Ich liebe diese Beschreibung. Eine Frau hatte mir das gesagt, als ich noch in meinen Zwanzigern war. Die Frau habe ich verloren, an dem Adjektiv aber festgehalten. Man muss retten, was zu retten ist.
    Ein Transporter fuhr vor, hupte. Die Tür ging auf und Norton stieg aus. Wir standen einen Augenblick rum. War er mein Freund?
    Ich weiß es nicht, aber er war da. Er tauchte auf, das reicht zum Freund. Ich sagte:
    »Hey.«
    Er grinste, kam rüber, umarmte mich. Einfach zwei Kerle, die sich draußen vor dem Gefängnis ihrer Majestät umarmen. Ich hoffte, der Direktor würde zusehen.
    Norton ist Ire und undurchschaubar. Sind sie das nicht alle? Hinter dem vielen Gequatsche verbirgt sich immer was ganz anderes. Er hatte rote Haare, ein käsiges Gesicht und die Statur eines durchtriebenen Windhunds. Er sagte:
    »Mann, Mitch, wie geht’s?«
    »Bin raus, fein raus.«
    Er ließ es sacken, schlug mir auf den Arm, sagte: »Fein raus ... schön gesagt. Gefällt mir ... Komm wir gehen. Gefängnisse machen mich nervös.«
    Wir stiegen in den Transporter und er reichte mir eine Flasche Black Bush. Mit grüner Schleife. Ich sagte:
    »Danke, Billy.«
    Er wirkte fast schüchtern, sagte: »Ach, das ist gar nichts ... zur Entlassung ... gefeiert wird heute Abend ... und hier ...« Er zog ein Päckchen Dunhill aus der Tasche. Die Luxuskippen in der dunkelroten Schachtel, sagte:
    »Hab mir gedacht, du kannst eine Aktive gebrauchen.«
    Ich hatte das braune Paket dabei, das einem bei der Entlassung ausgehändigt wird. Als Norton den Motor anließ, sagte
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