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Schmerzspuren

Titel: Schmerzspuren
Autoren: C. Bertelsmann
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Diktafon von meinem Vater. Hört sich natürlich ein bisschen dumpf an, aber besser als nichts. Immer und immer wieder hör ich mir die Songs an. Wenn man die Bässe ganz rausnimmt, klingt es ganz gut. Und wenn ich es laut genug mache, hör ich auch diese endlosen Diskussionen nicht. Ob Oma im Seniorenheim wirklich gut betreut wird, ob man sich da wirklich um sie kümmert, ob es nicht besser wäre, sie würde bei uns wohnen. Das ist der Part meines Vaters. Der Part meiner Mutter ist, dabei nicht völlig auszurasten. Parallel hat sie wohl ziemlich Stress im Job. Sie ist zwar eigentlich Ärztin, arbeitet aber in so einem Institut. Eigentlich nur ein paar Stunden die Woche. Weil aber ein paar Leute fehlen oder so, muss sie jetzt mehr machen und kriegt es irgendwie nicht auf die Kette. Vielleicht war das ja auch mit dem Küche-Anstreichen zu viel.
    Erst muss ich fast lachen, als sie plötzlich mit der Klobürste in der Hand in meinem Zimmer steht. Es ist schon nach neun. Muss sie jetzt das Klo putzen? Das ist doch krank.
    »Kannst du den Krach bitte leiser machen. Ich kann das nicht ertragen.«
    »Krach?«
    »Ja, diesen Geräuschbrei, den du dir seit Stunden anhört.«
    Sie meint unsere Musik. Das sind unsere Songs. Geräuschbrei. In mir fällt eine Rollade runter. Alle Türen schlagen zu. Ich würde am liebsten auch zuschlagen.
    Ganz langsam stehe ich auf, stelle mich direkt vor sie
hin. Mir ist noch nie aufgefallen, dass wir fast gleich groß sind.
    »Krach, ja? Du hast keine Ahnung. Null. Aber dich scheint ja jeder hier im Haus zu stören. Vielleicht würdest du mich am liebsten wie Oma in irgendein Heim geben. Gibt es kein Waisenhaus in der Stadt? Vielleicht haben die ja noch ein Zimmer für mich frei.«
    »Ben, red keinen Scheiß. Auf so eine Diskussion habe ich jetzt echt keine Lust.«
    »Natürlich nicht. Du hast ja zu nichts Lust, was sich nicht um dich dreht. Wie oft hast du schon bereut, ein Kind gekriegt zu haben? Ich habe dir doch deine Karriere total versaut. Ohne mich könntest du wahrscheinlich schon Oberärztin sein, oder? Und jetzt stehst du hier abends mit einer Klobürste in der Hand.«
    »Ben, hör auf. Hör besser sofort auf.«
    »Ist dir unangenehm, oder? Meinst du, ich weiß nicht, dass du nie Mutter sein wolltest? Hast dich ja damals schön aus dem Staub gemacht. Kann ich nur dankbar sein, dass Papa sich um mich gekümmert hat, während du in der Weltgeschichte rumgetingelt bist. Schon Scheiße, so ’n Kind, was? Machst hier immer einen auf Freundin oder auf große Schwester. Das kotzt mich an. Unter einer Mutter stelle ich mir eigentlich was anderes vor.«
    Sie weicht taumelnd einen Schritt zurück. Als hätte ich sie geschlagen. Meine Worte wickeln sich wie eine Peitsche um ihre Füße. Ziehen ihr den Boden weg. Sie wird blass, sucht ein Standbein. Die Schatten unter den Augen wirken noch dunkler. Wie ein Panda-Bär - nur genau andersrum. Negativ eben. Sie starrt mich an. Lässt die Klobürste auf
den Teppichboden fallen. Voll fies. Sie geht noch einen Schritt zurück, lehnt jetzt an der Wand. Wir gucken uns in die Augen. Der nasse Fleck unter der Klobürste wird größer. Sie reibt sich mit der Hand eine feuchte Spur durchs Gesicht, dreht sich um und geht.
    Ich schiebe die Klobürste mit dem Fuß auf den Flur, mache die Tür zu, leg mich aufs Bett. Es fühlt sich an, als würde mein Zimmer losgelöst von allem in den Himmel fliegen. Kein Haus mehr drum herum, keine Stadt, keine Straßen. Nur ich in diesen 14 Quadratmetern. Ich schlafe mit der Hand unter der Matratze. Halte das Teppichmesser fest. Es ist kalt und hart. Wie ein Anker.
     
    Eine Eiszeit bricht aus. Beim Frühstück wunder ich mich fast, dass ich meinen Atem nicht sehe. Klirrende Stille macht sich breit. Meine Mutter guckt mich nicht an. Wortlos leben wir im selben Kosmos. Gänsehaut liegt wie ein Panzer auf mir.
    Ich hätte die Probe gern laut gehabt und schnell. Leider steht ein Kaffeeklatsch an. Lea kommt mit einem Berg von Muffins. Sie hatte Geburtstag. Schade, dass ich das nicht wusste. Ich hätte ihr gern was geschenkt. Vielleicht ein kleines Mikrofon als Anhänger für eine Kette. Oder eine geile CD. Wir stimmen »Happy Birthday« an, das fast wie ein Kanon endet. Der gute Wille zählt. Dann gibt es eine Muffinschlacht. Leider schaffen wir nur vier Songs, ehe Lea weg muss.
     
    Ich weiß genau: Ich werde die Haustür noch nicht ganz zu haben, da steht meine Mutter da. Sie wird mit mir reden
wollen. Dann muss ich mich auf
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