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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne
Autoren: Catherine Coulter
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    York, Hauptstadt von Danelagh
    Ihr Name war Zarabeth. Sie war die Stieftochter des Dänen Olav des Eitlen, eines reichen Pelzhändlers aus Jorvik, oder York, wie die ansässigen Angelsachsen es nannten. Sie war nicht die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Seine Sklavin Cyra sah verführerischer aus, war üppiger ausgestattet als diese Frau. Sie hatte nicht das blonde, in der Mittagssonne beinah weißschimmernde Haar der Frauen und Männer seines Heimatlandes. Ihr Haar war feuerrot, ein leuchtendes Rot, ein Rot wie Blut, wenn die Sonne es nicht durchglühte. Sie trug es offen in sanften Locken über den Rücken fallend, gelegentlich auch in zwei schweren Zöpfen, die sie hochsteckte. Dieses Haar mußte ein Erbe der Mutter sein, die von der Insel im Westen stammte, die man Irland nannte. Er hatte die Garnison in Dublin vor einigen Jahren angelaufen, um Sklaven zu kaufen und Handel zu treiben mit Elfenbein von Seehundzähnen, Pelzen, Hirschgeweihen, Gefäßen und Schmuck aus Speckstein. Wie es hieß, vermehrten sich die Iren wie die Karnickel, und solch auffallend rotes Haar war bei diesen Menschen häufig zu finden. Auch die Augen der Frau hatten eine seltsame Farbe, ein merkwürdiges Grün, ein Farbton, der ihm in Irland nicht aufgefallen war, ein Grün, das ihn an nasses Moos erinnerte. Er betrachtete sich gelegentlich in einer polierten Silberplatte und wußte daher, daß seine Augen — wie die seiner Landsleute — blau waren wie der Himmel, wenn er friedlicher Stimmung war, und tiefblau wie der Oslofjord, wenn der Zorn ihn packte. Seine Mutter Helgi hatte ihn einmal mit der Bemerkung in Verlegenheit gebracht, das Blau seiner Augen sei so glatt und warm wie das Ei einer Drossel.
    Zarabeth war hochgewachsen, eigentlich zu groß für eine Frau, doch er war ein großer Mann und überragte sie um mehr als eine Hauptlänge, deshalb scherte er sich nicht viel darum. Dalla, seine erste Frau, war klein gewesen, sie reichte ihm kaum bis zur Brust, und er war sich oft vorgekommen, als hielte er ein Kind im Arm, nicht ein Weib.
    Er betrachtete Zarabeth aus ziemlicher Nähe und sah ihre weiße Haut, die makellos wie frisch gefallener Bergschnee schimmerte.
    Wenn sie lächelte, bildeten sich Grübchen in ihren Wangen. Dieses Lächeln zog ihn in seinen Bann. Schade, dachte er, daß kein Wikingerblut in ihren Adern floß; er bedauerte es ein bißchen.
    Nein, sie war nicht die schönste Frau, die er je gesehen hatte, dennoch begehrte er sie stürmischer als je eine Frau zuvor. Er wollte mit ihr das Lager teilen, tief in ihr weibliches Fleisch eindringen und sich in ihr ergießen. Er wollte auch mit ihr reden, ihr seine Träume und Pläne mitteilen. Er wollte mit ihr nach Hedeby segeln, dem südlich gelegenen Handelshafen an der Mündung des Flusses Schlei, die Verbindung zum Baltischen Meer. Nördlich von Hedeby und der Inselgruppe der Schären lag die zerklüftete Südspitze Schwedens, nur zwei Tagesreisen auf See von York entfernt. Er wollte mit ihr durch den Großen Sund, der sich im Süden in das Baltische Meer öffnete, um dann die Dvina flußaufwärts und zum oberen Dniepr weiter nach Kiew zu segeln. Vielleicht würde er mit ihr über Kiew hinausfahren bis zu der goldenen Stadt am Schwarzen Meer, von den Wikingern Miklagard und von anderen Völkern Konstantinopel genannt. Und ebenso plötzlich, mit ebensolcher Heftigkeit dachte er an Kinder mit ihr, flachsblonde Knaben und Mädchen mit leuchtendroten Haaren. Er sah einen Knaben vor sich mit grünen Augen wie nasses Moos.
    Er, Magnus Haraldsson, war ein 25 Jahre alter Jarl, ein Edelmann, und zweiter Sohn von Herzog Harald. Er besaß das Gehöft Malek, das ihm von seinem Großvater vermacht worden war. Sein Boden war reich und fett, im Gegensatz zu den steinigen Böden im Süden Norwegens, die sich nicht zum Ackerbau eigneten. Seine Erde brachte ihm gute Ernten von Gerste, Weizen und Roggen. Magnus war auch Handelsmann, dem sein Vater nicht ohne Stolz einen gewitzten Geschäftssinn bescheinigte. Und er besaß sein eigenes Schiff, die Seewind. Dazu besaß er ein Dutzend Sklaven, die er bei seiner letzten Fahrt gekauft hatte. Für ihn arbeiteten die Anführer kleiner Stämme im Tausch gegen Ländereien, wo sie Ackerbau treiben konnten, um ihre Familien zu ernähren. Viele dieser Edelmänner waren seine Freunde, sie segelten nicht nur mit ihm in die Handelszentren, sondern boten dort auch ihre eigenen Waren an.
    Magnus war mit siebzehn eine von seinen Eltern arrangierte
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