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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne
Autoren: Catherine Coulter
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und mit ihr zurück nach Hedeby gehen. Dort war er geboren und vor zwanzig Jahren fortgegangen.
    Er schob ein Stück Rindfleisch in den Mund, schmackhaft mit Honig bestrichen und in Mehl gewälzt und leckte sich die Finger. Dann sagte er mit tiefem Mißtrauen in der Stimme: »Du bist nicht wie sonst heute abend, Zarabeth. Ist etwas geschehen? Etwas, worüber du nicht sprechen möchtest?«
    Sie wußte, Olav war grundlos eifersüchtig auf jeden jungen Mann, der mit ihr sprach, und schüttelte verneinend den Kopf, fühlte sich dennoch schuldbewußt.
    »Du hast einen Mann getroffen, nicht wahr?«
    Sie erkannte ihren Fehler und sagte so ruhig sie es vermochte: »Einen Wikinger-Kaufmann. Er kommt aus Norwegen, in der Nähe von Kaupang, sagt er. Er sprach mich am Brunnen am Coppergate Platz an und hat mich erschreckt. Dabei habe ich den Eimer fallen gelassen.«
    Das klang aufrichtig, doch Olav gab sich nicht zufrieden. Ein Mann wäre dumm, den Worten einer Frau zu glauben. Er beäugte sie genau. »Wie heißt denn dieser Wikinger?«
    »Das hat er mir nicht gesagt, er redete nur vom Wetter; und von dir natürlich. Er sprach mit Hochachtung von dir, er ist Händler und möchte mit dir ins Geschäft kommen.«
    »Dann kommt er ja demnächst in meinen Laden«, sagte Olav, und diesmal schmeckte der Roggenfladen besser. Dennoch: sie war nicht wie sonst. Das beunruhigte ihn.
    »Warum hat er dir seinen Namen nicht genannt?«
    Zarabeth zuckte die Schultern. Sie haßte es, zu lügen, doch die Unwahrheit kam ihr ungebeten und ohne nachzudenken über die Lippen. Den Grund konnte sie sich nicht erklären. Sie dachte an Magnus, stellte ihn sich vor, groß, hochmütig und scharfäugig; sie sah sein Lächeln, seine Augen. Sie wandte sich zärtlich an Lotti, gab ihr ein Stück Fleisch in die kleinen Finger und sagte: »Iß noch ein kleines bißchen mehr, Liebes. So ist es brav. Und noch ein bißchen. Damit du groß und stark wirst.«
    Olav beobachtete Zarabeth, die sich vorbeugte und dem Kind einen Kuß aufs Haar gab. Kleine Idiotin! Seine Augen wanderten zu Zarabeths Brüsten, und er spürte, wie seine Lenden sich spannten. Endlich hatte ihr Körper sich weiblich gerundet. Bis vor einem Jahr war sie mager und flach wie ein Brett. Mit einem Mal wuchs sie zur Frau heran, und alle jungen Männer schnüffelten hinter ihr her, alle wollten sie haben. Doch sie interessierte sich für keinen, dem Schicksal sei Dank, und Olav war nicht gezwungen, einen Brautpreis zu nennen, bei dessen Höhe den jungen Kerlen die Augen aus den Höhlen getreten wären vor Neid.
    Und jeden Tag sah sie ihrer Mutter ähnlicher, der schönen, sanften, treulosen Mara. Er war nicht streng genug mit Mara gewesen, man hatte ja gesehen, wohin seine Gutmütigkeit führte. Doch Zarabeth, das Ebenbild ihrer Mutter, war nicht wie Mara, abgesehen von ihrer Verlogenheit, die war alle Frauen gemeinsam. Sie würde ihm gehorchen, und sie würde ihm treu sein, denn er würde sie fest an sich binden.
    Sein eigener Sohn wollte sie haben, und das erheiterte Olav. Denn Keith war mit einer Frau verheiratet, die Olav ihm ausgesucht hatte. Ständig kam Keith vorbei, angeblich, um den Vater zu besuchen, doch Olav wußte es besser. Er wußte, daß der junge Mann hinter Zarabeth her war. Aber er würde sie nicht kriegen. Eher würde er seinen eigenen Sohn töten, bevor er zuließ, daß er sie berührte. Doch vermutlich würde Toki, die Frau seines Sohnes Keith, ihn ohnehin umbringen, wenn er fremdging. Ob Toki wußte, daß ihr Mann ein Auge auf seine Stiefschwester geworfen hatte?
    Olav strich gedankenverloren seinen gepflegten, goldblonden Bart, der von weißen Strähnen durchzogen war. Er war kein alter Mann. Sein Geschlecht wurde mühelos steif, und sein Rücken war immer noch gerade. Er setzte einen kleinen Fettbauch an, doch nicht zu viel, um eine Frau abzustoßen. Haar und Bart waren kräftig und voll. Er war stolz auf seine Erscheinung und sah nichts Nachteiliges daran, sich mit Juwelen und Goldbroschen zu schmücken. Er wußte, daß man ihn Olav den Eitlen nannte, und das belustigte ihn. Warum durfte ein gutaussehender und wohlhabender Mann nicht eitel sein?
    Olav stieß plötzlich den Stuhl zurück und stand auf. »Ich muß noch Felle sortieren, bevor es dunkel wird. Wenn dein Wikinger morgen zu mir kommt, werde ich ihm sagen, daß du mir von ihm erzählt hast.«
    Er wartete einen Augenblick auf ihre Reaktion, doch sie nickte nur wortlos, ihr Gesicht gab keinerlei Aufschluß. Und das
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