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Schmerzspuren

Titel: Schmerzspuren
Autoren: C. Bertelsmann
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Österreich«, sagt Max.
    Drei Wochen? Ich kann es nicht fassen.
    »Österreich?«, fragt Tom entgeistert. »Das ist ja gruselig. Hinterher kommst du als Alphornbläser zurück.«
    »Alphorn spielt man in der Schweiz«, antwortet Max kratzig.
    »Und was macht man in Österreich? Wandern und Jodeln?«, hakt Tom nach.
    »Genau. Ich muss wandern.«
    Ich kann es nicht glauben. Der coole Max, dem immer alles so egal ist. Der immer so tut, als dürfe er alles, was ihm gerade so in den Sinn kommt, ausgerechnet der muss mit Mama und Papa auf die Berge hecheln.
    »So richtig mit Kniebundhose, kariertem Rucksack und Wanderschuhen?«, fragt Benny vorsichtig.
    »Kniebundhose nein, der Rucksack ist grün und Wanderschuhe ja«, antwortet Max tonlos.
    »Dann kannst du ja super die Kuhglocke mitnehmen und weiter üben. In Ösi-Land stört das bestimmt niemanden«, brüllt Benny begeistert.
    Ich sage nichts. Male nur einen fetten roten Balken in die Rubrik von Max.
    »Weiß jemand, was mit Lea ist? Hat die vielleicht einen Häkelkurs in Meck-Pom belegt?«, frage ich in die Runde.
    Keiner weiß was.

    Gott sei Dank ist sie bei der nächsten Probe fit. Hätte mir noch gefehlt, dass sie sich jetzt für ein paar Tage ins Bett legt. Ich bin auch so schon genervt genug. In der Penne ist die Stimmung kurz vor dem hysterischen Höhepunkt. Vor-Ferien-Wahn. Da sind die genervten Lehrer, die superpanischen Schüler, die unbedingt noch auf eine Vier im Mündlichen kommen wollen und schon Muskelkater im Arm haben vom Dauermelden, da sind die, die eh schon hängen geblieben sind und nur noch Scheiße bauen, und die Dumpfen, die kurz vor Toresschluss noch ein bisschen müder und mauliger sind. Und natürlich die Supergutgelaunten, die nur Einsen absahnen und dafür einen Kite-Surfkurs in der Karibik bekommen und das auch allen erzählen. Der übliche Sommer-Horror.
    Lea steht am Fahrradständer. Ich glaube, sie schnippt eine Kippe weg, als ich um die Ecke komme. Passt eigentlich nicht zu ihr. Das ist doch nicht ihr Ding. Sie grinst mich schief an: »Komme gleich runter.«
    Ich nicke nur, gehe weiter.
    Lea kommt eine halbe Stunde später und ist wieder irre gut. Sie klingt ein bisschen heiserer als sonst. Gar nicht so schlecht. Noch besser: Lea fährt in den Ferien nur für eine Woche ans Meer. Perfekt. Wenn Max nach seinem Urlaub alle Texte vergessen hat, ist er eben raus. Ehe er es versemmelt, treten wir nur mit Lea auf. Schließlich ist das nicht irgendein Auftritt. Es ist der Anfang. Von etwas ganz Besonderem.
     
    Zu Hause hängen die Wolken mal wieder tief. Graue, schwere Wabberwolken im ganzen Haus. Da nützt auch die
Farbattacke in der Küche nichts. Selbst meine Mutter sieht plötzlich grau aus. Sie hat nicht nur einen Schatten, sondern zwei, und zwar direkt unter den Augen. Meine Oma ist ins Krankenhaus gekommen. Nichts Schlimmes, glaub ich. Muss wohl nur ein bisschen aufgepäppelt werden. Aber sie leidet genüsslich und meine Ma leidet mit. Schließlich hatte Oma ja angerufen und gejammert. Meine Mutter hatte ihr wohl geraten, einfach mal einen Verdauungsschnaps zu trinken. Das fand mein Vater nicht so toll. Leider hat Oma auch ein Telefon direkt am Bett. Ungefähr vier- bis fünfmal am Tag ruft sie bei uns an. Die Schwestern lassen sie verdursten. Sie hat die nächsten vier Kreuzworträtsel fertig und keine Briefmarken mehr, um die Lösungsworte einzusenden. Die Frau neben ihr schnarcht. Die Frau neben ihr schnarcht nicht mehr, deswegen fürchtet Oma, dass sie soeben verstorben ist. Das Essen ist zu fettig, zu kalt, zu salzig, der Arzt zu unfreundlich. Meine Mutter rennt fast nur noch mit dem eingeklemmten Telefonhörer am Ohr durchs Haus, ist bemüht nett. So kocht sie, so spült sie und so bezieht sie sogar die Betten. Ziemlich artistisch. Heute Morgen ist sie mit dem Telefon am Ohr zur Arbeit gefahren. Mit unserem normalen Telefon. Nach zehn Minuten kam sie super genervt zurück, um es wieder auf die Station zu legen. Mich hätte schon mal interessiert, wie weit die Funkverbindung reicht, habe aber nicht gefragt. Am besten frage ich gar nichts. Jede Frage kann zu dem Funken werden, der meine Mutter explodieren lässt. Ich versuche, unsichtbar zu sein. Aber ein Wort, ein Blick kann schon reichen und die Lunte brennt. Ma brodelt. Eigentlich würde ich ihr ja gern mal wieder ein bisschen was von der Band
erzählen. Oder sogar vorspielen. Ohne dass die andern es wussten, habe ich ein paarmal die Proben aufgenommen. Ganz einfach mit einem
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