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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals
Autoren: Stefan Fandrey
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P ROLOG
    I RGENDWO IN I TALIEN , IM J AHRE DES H ERRN 1570
    Seit Tagen hatten sie die Sonne nicht mehr gesehen.
    Kein Sonnenstrahl drang durch die dunklen Wolken. Es regnete wie seit Monaten nicht mehr. Die Kühe lagen müde und teilnahmslos auf den Weiden, die Schweine verspürten nicht die geringste Lust, sich im Schlamm zu suhlen. Kein Vogel, der fröhlich in den Baumwipfeln sang, kein Kind, das in den Gassen herumtollte, kein Bauer, der das Feld bestellte. Nur Regen, Blitz und Donner.
    Die beiden Reiter, die an diesem Abend durch Dörfer und Wälder, über Wiesen und Äcker preschten, als wäre der Teufel hinter ihnen her, nahmen die Trostlosigkeit um sie herum kaum wahr. Ihre Blicke waren starr nach vorn gerichtet. Die Hufe der Tiere gruben sich tief in den aufgeweichten Boden und peitschten ihn auf. Die vereinzelten Rufe, mit denen sie ihre Pferde antrieben, waren die einzigen Laute, die aus ihrer Kehle drangen.
    Dann plötzlich ein erstickter Schrei. »Halte ein!«, rief eine Frauenstimme.
    Der zweite Reiter hielt sein Pferd an und machte kehrt. Neben der Frau angekommen, schob er die Kapuze seines Mantels in den Nacken. Zum Vorschein kam das hagere Gesicht eines Mannes von etwa dreißig Jahren. Das dichte schwarze Haar hing ihm im Nu in nassen Strähnen ins Gesicht. Aus gehetzten dunklen Augen starrte er seine Begleiterin an. »Was ist geschehen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, herrschte er sie an: »Wir müssen weiter. Eil dich!«
    Sie schüttelte den Kopf und schob ebenfalls ihre Kapuze nach hinten. Lange dunkle Locken umrahmten ein zierliches blasses Gesicht. »Ich kann nicht mehr!«, stieß sie hervor.
    »Was soll das heißen?«, fragte er. »Wir haben keine Zeit, zu rasten.«
    »Ich glaube, es ist so weit«, keuchte sie.
    » Was ist so weit?«
    Trotz der Anstrengungen brachte sie ein Lächeln zustande. Und in diesem Augenblick verstand er. Er sah auf die Wölbung unter ihrem Mantel. »Du meinst …?«
    Sie nickte mit schmerzverzerrtem Gesicht.
    Hastig sah er sich um. Dann zeigte er hinunter ins Tal. »Dort ist ein Dorf. Hältst du bis dorthin durch?«
    Wieder nickte sie. Und während sie sich aufstöhnend nach vorn beugte und beide Hände auf ihren Bauch legte, griff er nach ihren Zügeln. So trabten sie dem Dorf entgegen.
    Das Dorf bestand aus ärmlichen Häusern, die an einer breiten Straße und mehreren kleinen Gassen aneinandergereiht standen, die, Adern gleich, von der Hauptstraße wegführten. Aus wenigen Fenstern glomm Kerzenlicht zu den beiden nächtlichen Besuchern heraus. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.
    Der Regen wurde stärker. Die Tropfen prasselten auf ihre Köpfe wie Kieselsteine. Auf der Straße hatten sich große Rinnsale gebildet, durch die die Pferde jedoch mühelos hindurchstapften.
    »Da ist eine Kirche!«, rief der Mann plötzlich und hielt auf das Gotteshaus zu, das sich über einem kleinen Platz in der Dorfmitte erhob. »Gott sei es gedankt.«
    Vor der Kirche sprang er in den Schlamm und half seiner Begleiterin aus dem Sattel. Gemeinsam stiegen sie die drei Stufen zum Portal hinauf und stießen es auf. Im Innern der Kirche herrschte Dunkelheit. Nur auf dem Altar brannte eine Kerze. Er führte sie durch das Kirchenschiff bis vor den Altar. Dann nahm er die brennende Kerze und entzündete damit alle Kerzen, die er finden konnte. Währenddessen bereitete sie vor dem Altar unter den wachenden Augen einer Madonnenfigur ein Lager aus ihrem nassen Mantel und einer ebenso nassen Decke und legte sich ächzend darauf nieder.
    Hastig kehrte er zu ihr zurück und knöpfte seinen Mantel auf. Darunter kam die schwarze Soutane eines Priesters zum Vorschein. Er nahm den Mantel und legte ihn unter ihren Kopf. »Was soll ich nun tun?«, fragte er.
    »Wasser …«, presste sie hervor.
    Suchend sah er sich um, eilte zum Taufbecken und nahm die bronzene Schale heraus. Dann lief er hinaus ins Freie. Vor der Tür stellte er die Schale in den strömenden Regen. Innerhalb weniger Augenblicke war sie bis zum Rand vollgelaufen. Beinahe zärtlich hob er die Schale auf und trug sie zurück zum Altar. Er stellte die Schale ab und kniete sich unschlüssig vor seine Begleiterin, die in regelmäßigen Abständen aufstöhnte. Ihr Gesicht war rot und glänzend wie im Fieberwahn.
    Wieder schrie sie auf, und ein Schwall klaren Wassers ergoss sich aus ihrem Schoß auf die Decke. Er schob das blutrote Kleid aus Brokat über ihre angewinkelten Beine bis zur Hüfte hoch. Anschließend zog er ihr
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