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Schmerzspuren

Titel: Schmerzspuren
Autoren: C. Bertelsmann
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Sahne hat sich schon verflüssigt. Mein Vater hat sich bereits in Luft aufgelöst. Tante Doris drückt mir wie immer einen Umschlag in die Hand. Und wie immer darf ich ihn nicht sofort öffnen. Das sieht unhöflich und gierig aus, sagt meine Mutter. Ich weiß trotzdem, dass zwanzig Euro drin sind. Aber das darf ich offiziell erst heute Abend erfahren. Und dann muss ich mich in den nächsten Tagen wieder an den Schreibtisch setzen und eine Dankeskarte schreiben. Auch wenn ich »Danke« sehr, sehr groß schreibe - es reicht nicht. Es füllt nicht. Also muss ich noch was dazuschreiben. Und ich weiß nie, was. Wenn ich dann endlich bei meiner Unterschrift (auch sehr groß) angekommen bin, muss ich den Umschlag beschriften und zur Post gehen. Es wäre doch viel einfacher, wenn ich Tante Doris jetzt direkt eine Dankeskarte in die Hand drücken könnte. Wir würden einfach zwei geschlossene Umschläge austauschen. Wär ein bisschen wie in einem Gangsterfilm.
     
    Ich steige in das Gespräch wieder ein. Zumindest passiv. Meine Oma überlegt gerade, ob ich als Jurist oder als Mediziner Karriere machen soll. Sie ist so süß. Und so langweilig. Meine Hände finden ihren eigenen Takt. Die Stoffhose ist ein fieser Untergrund. Als würde man auf labbrigen
Toast hauen. Kein Vergleich zu einer Jeans. Eine Jeans, am besten frisch gewaschen, macht ein leises knallendes Geräusch. Diese Hose hat nichts zu melden. Oma will wissen, ob wir gestern wie sonst auch immer eine Schnitzeljagd gemacht haben. Die letzte Schnitzeljagd gab es, glaube ich, zu meinem neunten Geburtstag.
    »Es gab Schnitzel vom Grill, Oma«, sage ich grinsend.
    »Mit Kartoffelsalat?«, will sie wissen. Für meine Oma ist Essen ein tagesfüllendes Thema.
    »Haben wir versucht. Aber der wird auf dem Grill irgendwie nichts.«
    Oma guckt verwirrt, Tante Doris amüsiert.
    »Ben. Lass das.« Meine Mutter ist offenbar nicht zufrieden mit meiner Gesprächsteilnahme. Dafür muss sie sich jetzt rechtfertigen. Warum sie die Erdbeeren im Supermarkt gekauft hat und nicht auf dem Markt. Warum sie keinen Vanillezucker in die Sahne tut. Ob der Tortenboden etwa gekauft ist.
    »Ich finde den Kuchen super«, beteuere ich.
    Meine Mutter kriegt ihren »Du-bist-mein-Sonnen-schein«-Blick.
    Tante Doris möchte jetzt auch über meine Zukunft reden. Welche Leistungskurse ich vorhabe zu belegen. Was ich studieren will. Ob ich Zivildienst machen will oder etwa doch zum Bund gehe. Sie gibt mir ungefähr zwei Zehntelsekunden Zeit zum Antworten. Auf alle Fragen. Dann erzählt sie von ihrem Abi. (Schnitt 3,1. So was würde ich ja verschweigen.) Von ihrem freiwilligen sozialen Jahr in einem Altersheim für Blinde. Von dem Studentenleben. Damals in Münster. Augen kann man zumachen.
Ohren nicht. Die Worte rollen durch meinen Kopf, stoßen wie Billardkugeln an. Lauter Laute, die mich nicht interessieren. Die Zinken meiner Kuchengabel finden irgendwie meinen linken Handballen. Die rechte Hand drückt fester. Ich spüre, wie die Haut sich dehnt, schmerzhaft dehnt, wie mein Mund leise lächelt. Kurz vorm Bersten ziehe ich die Hand zurück.
    Meine Beine erinnern sich an die Tour mit dem Skateboard heute Morgen. Sie haben noch die Kurven im Blut. Ich kann sie kaum ruhig halten. Ich schlage sie übereinander, mal nach rechts, mal nach links. Ziehe ein Bein unter den Hintern. Meine Füße haben Fluchtgedanken. Ich kann irgendwie überhaupt nicht still sitzen. Das macht mich ganz kirre. Ich habe das Gefühl, als ob Tante Doris immer lauter wird. Die Worte gehen durch mich durch. Als wäre ich nicht da.
    Der Gedanke kommt aus dem Nichts. Ich setze ihn sofort um. Ich kippe meinen Teller, den ich in der Hand balanciere, und ein fettes Stück Erdbeertorte landet auf meinem Oberschenkel. Auf dem Oberschenkel der hellen Hose, um genau zu sein. Meine Oma kreischt kurz. Meine Mutter guckt entgeistert. Tante Doris ist still. Endlich. Dann sind sich alle einig, dass das nie wieder rausgeht. Oder wenn, dann nur mit Gallseife oder Zitronensaft oder Salz oder was weiß ich. Meine Mutter zerrt mich rein und nötigt mich noch im Wohnzimmer , die nicht mehr so helle Hose auszuziehen. Das finde ich extrem unangenehm. Als ich in meiner Jeans wieder runterkomme und meine Mutter im Waschbecken an dem Fleck rumrubbelt und selber bereits rote Flecken im Gesicht hat, tut sie mir leid.

    »Die Hose war eh schon ein bisschen eng«, sage ich und berühre vorsichtig ihren Arm. Sie zuckt zurück.
    »Ich hab doch noch die schwarze
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