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Schmerzspuren

Titel: Schmerzspuren
Autoren: C. Bertelsmann
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ich kein Glück. Alles zu. Ich fühle mich ausgespuckt. Ausgekotzt aus dem Walfischbauch. So ein Dreck. Wo soll ich denn jetzt hin? Klar könnte ich gucken, ob ich eine andere alte Halle finde. Das
Gelände hier ist riesig, Menschen sind selten. Vor allem am späten Nachmittag. Aber ich will keine neue Halle. Meine Halle war genau richtig. Ich wusste, wie sie riecht. Wie es manchmal in den Rohren knackt, wie die Sonne zwischen den Fenstern wandert.
    Ich drehe ohne Ziel ab, rolle weg von den Containern, den Fabriken, lande irgendwann unten am Main. Da, wo meine Mutter immer ein bisschen schneller fährt, weil sie es so unheimlich findet. Ich finde es hier höchstens dreckig. Weniger sonnig auch. Die Typen sehen nicht gefährlich aus. Eher krank. Hier ist alles ein bisschen grauer. Ein bisschen vielleicht wie in meiner Halle. Was nur nervt, ist, dass hier alle paar Meter Hundekacke liegt. Ein ganz besonderer Parcours, der nicht lange gut geht. Ich sehe die Kante zu spät, hebe ab und lande auf der rechten Hüfte und dem rechten Ellenbogen. Kurz bleibt mir die Luft weg. Dann wird es warm. Feuchtwarm. Ich gucke nicht nach, fahre einfach weiter. Am Abend kleben die Jeans und meine Jacke auf der Haut. Die Kruste verbindet sie. Ich löse den Stoff Faser für Faser.
     
    Eine Drei.
    Unter meiner Mathearbeit steht eine Drei.
    Ich bin fassungslos.
    »Hat mich auch ein bisschen überrascht«, sagt der Bergmann dazu. Eine Drei hat mir Bergmann noch nie gegeben. In mir, direkt im Magen, formiert sich eine große Kugel. Sie drückt alles andere an die Wand, an die Haut, wird immer wärmer.
    Als dann Katharina sich in ihrer Tasche wühlend nach
oben wendet und schleimig fragt: »Willst du ein Tempo?«, explodiert die Kugel. Heiße Lava schwappt in mir hoch. Blanker Zorn macht sich breit.
    »Zeig mir lieber deine Tüten«, zische ich sie an.
    In mir fliegen die Funken.
    Katharina schreit auf, wird erst rot, dann weiß, dann heult sie.
    »Willst du ein Tempo?«, frage ich sie nett und wühle in ihrer Tasche.
    Der Bergmann kommt mit Fragen im Blick.
    »Katharina, was ist denn? So schlecht ist eine Vier auch wieder nicht.«
    Er tätschelt ihre Jeansjacke.
    Sie stammelt und heult weiter. Gott sei Dank kann man nichts verstehen. Als unser Klassenlehrer mich am nächsten Tag anspricht, stell ich mich doof. Katharina war es echt nicht zu blöd, zu Herrn Neu zu gehen und mich zu zitieren. Das wär mir ehrlich zu peinlich gewesen. Mir ist ja schon mein Spruch vor mir selber peinlich. Wie konnte ich das sagen? Allein habe ich dieses doofe Wort noch nie gedacht. Ich tue überrascht und behaupte, ich hätte Katharina nach einer Tüte gefragt.
    »Mir war irgendwie übel. Richtig kotzübel. Ich dachte, ich muss gleich brechen, ich hatte Panik, dass ich es nicht mehr bis zum Klo schaffe. Diese Mathearbeit war mir echt auf den Magen geschlagen. Aber ich hab dann ein Pfefferminzbonbon genommen, danach ging es besser. Katharina muss mich echt falsch verstanden haben.«
    Keine Ahnung, ob der Neu mir glaubt. Das Problem ist für mich eh durch. Heute Morgen habe ich mich gleich in
die letzte Reihe gesetzt. Da waren noch drei leere Stühle. Ich sitze in der Mitte. Ein bisschen einsam vielleicht. Ein bisschen wie im Mittelpunkt von nichts, von einem toten Raum. Manchmal fühlt es sich an, als würde ich immer kleiner. Aufgesogen von einem schwarzen Loch. Aber das ist schon okay.
     
    Meine Mutter ist genauso fassungslos über die vergeigte Mathearbeit. Gestern Nachmittag wirkte sie so genervt, da habe ich mir die Überraschung für heute aufgehoben. Ihre Stimmung ist sofort um einiges schlechter als gestern.
    »Wie ist das denn passiert?« Sie starrt auf die rote Ziffer.
    »Weiß nicht. Ich war echt gut vorbereitet.« Ich zähle die Fliesen in der Küche. Ich weiß nur nicht, ob auch unter der Küchenzeile gefliest ist. Sonst könnte ich jetzt die Gesamtzahl ausrechnen.
    »Ausgerechnet Mathe. Du warst immer super gut in Mathe. Gab es denn bessere Noten? Wie ist die Arbeit ausgefallen?«
    »Es gab schon bessere Noten.«
    Wenn der ganze Boden gekachelt ist, liegen hier 144 Fliesen.
    »Hast du nicht gelernt?«
    »Ich hab doch gesagt, dass ich gut vorbereitet war.«
    Über dem Herd und der Spüle sind auch noch Fliesen.
    »Anscheinend warst du es aber nicht.«
    Ihre Stimme wird lauter. Ich kann es fast sehen: Die Worte springen wie Flummis von den Fliesen zurück.
    »Mama, es ist keine Fünf.«
    »Ach so. Soll ich mich jetzt freuen über diese Drei? Soll
ich
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