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Schmerzspuren

Titel: Schmerzspuren
Autoren: C. Bertelsmann
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nachfragt.
    Ich esse wirklich was in der Schule. Auf die Hausaufgaben im Kollektiv habe ich keinen Bock. Ich mache die mittlerweile lieber in Ruhe zu Hause, mit meiner Musik laut auf den Ohren. Ich bin gerade am Hafen, als es anfängt zu regnen. Scheiße. Es regnet nicht, es schüttet. Ich flüchte in eine leere Halle. Ein riesiger Haken hängt von der Decke. Dicke Rohre laufen kreuz und quer durch den Raum. Ein paar Kisten stehen hoch gestapelt in der Ecke. Der hintere Teil verschwindet im Dämmerlicht. Ein bisschen gruselig. Nicht gruselig genug, um mich wieder in den Regen zu jagen. Ich rolle langsam in die Halle rein. Das Board summt geschmeidig. Es wird dämmriger. Ein bisschen wie in einem Walfischbauch. Nur, dass es da wohl keine Treppe gibt. Wie hier. Ein paar Stufen führen auf eine zweite Ebene. Auch da nur viel Staub, wenig Licht. Und Platz ohne Ende. Nach dem 25. Versuch ungefähr schaffe ich es. Ich kann oben an der kurzen Treppe abspringen
und unten auf dem Brett landen, und zwar ohne Sturz und ohne Bruch. Geil.
    Um kurz vor fünf schaue ich das nächste Mal auf die Uhr. Kackdreck. Die Sonne draußen tut richtig weh in den Augen. Ich komme aus der Dunkelheit und aus einer anderen Welt. Vom Handy aus rufe ich sofort zu Hause an. Atemlos erzähle ich meiner Mutter was von »erst total verquatscht, waren auch viele Hausaufgaben, dann Bus verpasst und so«.
    Sie sagt erstaunlich wenig. Eigentlich nur »Okay. Bis gleich.«
    Zu Hause ist sie gesprächiger. Viel gesprächiger. Sie hat in der Schule angerufen. Mit dem Lehrer gesprochen, der heute bei der Hausaufgabengruppe Dienst hatte. Ich habe extrem schlechte Karten.
    »Hast du dir zum Geburtstag vorgenommen, jetzt auf Rebell zu machen, oder was?«, will sie wissen.
    Ich starre nach unten und versuche, die Fransen am Teppich zu zählen. Es sind auf jeden Fall sehr, sehr viele.
    »Hast du beschlossen, von einem Tag auf den anderen ein Lügner zu werden?«
    Spätestens bei 48 oder 49 verzähle ich mich immer.
    »Was ist los?« Sie wird lauter.
    »Hast du ein Schweigegelübde abgelegt?«
    Sie hat offenbar ihre Beherrschung abgelegt.
    Ich hole tief Luft.
    »Ich habe einfach nur beschlossen, nicht mehr in diese blöde Hausaufgabengruppe zu gehen. Ist das schon ein Verbrechen?«
    »Was ist denn der Grund für diesen einsamen Beschluss?«

    »Weil da alles nervt. Die Typen da bohren in der Nase oder furzen um die Wette. Dann werde ich alle drei Minuten gefragt, ob mal jemand meinen Taschenrechner haben kann oder meinen Tintenkiller. Dann muss ich Zettel von links nach rechts und von rechts nach links weitergeben. Und so einen Kack. Da mache ich meine Hausaufgaben lieber zu Hause.«
    Meine Mutter lehnt sich zurück.
    »Gut gebrüllt, Löwe. Nur: Du bist eben nicht nach Hause gekommen, um hier deine Hausaufgaben zu machen. Du hast dich irgendwo rumgetrieben. Irgendwo, wo es offenbar ziemlich dreckig war.«
    Sie starrt auf meine Hose. Natürlich habe ich mich ein paarmal lang gemacht in der Halle. Und natürlich war der Boden da nicht porentief rein.
    »Ist das Öl?«
    »Ich fürchte ja«, gebe ich kleinlaut zu.
    »Dann kannst du morgen von deinem Taschengeld erst mal Fleckensalz holen. Vielleicht kriege ich damit auch die helle Hose wieder sauber.«
    Ja super.
    Das nächste Mal lasse ich mir keinen Kuchen, sondern ein Messer aufs Hosenbein fallen. Ein sehr, sehr scharfes Messer. Das ein sehr, sehr tiefes Loch verursacht.
     
    Am Abend bin ich natürlich auch noch mal Thema. Sie kocht ihre Wut vor meinem Vater auf. Sie versuche, hier irgendwie den Laden am Laufen zu halten. Sich um Haushalt und ihre Arbeit und mich zu kümmern. Aber ich sei ja plötzlich so schwierig.

    Schwierig!
    Wie ein Problem, das man irgendwie lösen muss.
     
    Als ich am Donnerstag in die Klasse komme, sitzt Katharina auf Philipps Stuhl. Sie strahlt mich an. Seit Philipps überraschendem Umzug nach Köln war der Stuhl frei. Es hatte sich komisch angefühlt. Irgendwie kalt. Dass Katharina jetzt da sitzt, wirkt allerdings noch komischer.
    »Was machst du da?«
    »Ich habe mich umgesetzt, weil ich von hinten nicht richtig gucken kann.«
    Ich überlege kurz, ob ich ihr mal einen Besuch beim Augenarzt empfehlen soll. Lasse es dann aber.
    »Ist dir das nicht recht?«
    Sie sieht ängstlich aus.
    »Schon okay.«
    Ich drehe mich um und sehe, dass Johanna jetzt allein sitzt. Sie tut geschäftig, wühlt angestrengt in ihrer Tasche. Eigentlich würde ich mich am liebsten neben sie setzen. Das hier fühlt
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