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Schmerzspuren

Titel: Schmerzspuren
Autoren: C. Bertelsmann
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Stoffhose.«
    »Geh zu Oma«, faucht sie.
    Oma hat schon mit dem Aufbruch begonnen. Pünktlich um kurz vor sechs. Länger bleibt sie nie. Sie wolle noch im Hellen zu Hause sein. Bei dem Wort »hell« zuckt meine Mutter wieder. Wie immer versucht sie, Oma noch zum Bleiben zu überreden. Dieses Gespräch habe ich schon hundertmal gehört. Mindestens.
    »Ich bin nicht so gern im Dunklen unterwegs.«
    »Mutter, es ist Sommer. Es wird frühestens in drei Stunden dunkel.«
    »Ich habe ja auch eine lange Fahrt vor mir.«
    Meine Oma hat ein Appartement in einer Seniorenwohnanlage, die genau vier Haltestellen mit dem Bus entfernt ist.
    »So lange dauert die Fahrt doch nicht«, sagt dann meine Mutter gepresst.
    »Mit dem Auto vielleicht nicht«, zickt meine Oma zurück.
    »Soll Peter dich später mit dem Auto bringen?«
    »Lass nur. Der hat doch immer so viel um die Ohren.«
     
    Dass ihr eigener Sohn offenbar so viel um die Ohren hat, dass er noch nicht mal beim Kaffee war, scheint meine Oma nicht zu stören. Ich stelle mir kurz vor, wie meine Mutter irgendwann später mal mit meiner Frau und meinem Sohn zusammensitzt und ich in der Zeit in Ruhe Skateboard fahren kann. Wenn ich dann noch Lust habe.

    Der zweite Akt des Verabschiedungstheaters findet im Flur statt. Oma schält sich mühsam in ihren Sommermantel und schlingt sich ein Tuch um die Schulter, um festzustellen:
    »Ihr habt ja wirklich viel Platz.«
     
    Diese Bemerkung hat dann stets den dritten Akt zur Folge, in dem die Protagonisten mein Vater und meine Mutter sind.
    Die Rolle meiner Mutter besteht darin, sich über Oma zu beschweren. Die sei immer noch beleidigt, dass sie nicht hier wohnen könne. Sie fühle sich abgeschoben in ein Heim. Aber sie - meine Mutter - könne keine 24 Stunden am Tag mit Oma zusammen sein. Länger schon gar nicht. Und überhaupt sei sie es leid, sich für gekauften Tortenboden zu rechtfertigen.
    Der Text meines Vaters: »Reg dich nicht auf. Musst du ja gar nicht.«
    Teile des Dialogs kann ich schon mitsprechen. Will ich aber nicht.
    Der Rest ist Schweigen. Fieses, schwarzes Schweigen, das auch kein Fernseher übertönen kann.
    Als ich abends auf dem Weg zum Schlagzeug bin, sehe ich an der Wäscheleine meine Hose baumeln. Meine Mutter hat den fetten Fleck nicht rausbekommen. Gott sei Dank.
     
    Tom haut mir anerkennend auf die Schulter.
    »Das war echt eine geile Fete«, betont er.
    Ich grinse.
    »Stimmt. War nicht ganz übel«, freue ich mich.

    Sogar Johanna und Katharina kommen in der großen Pause zu mir.
    »War super bei dir am Samstag. Deine Eltern sind echt cool.«
    Ein Typ aus der Nachbarklasse will sogar wissen, ob tatsächlich die Bullen mit einem Mannschaftswagen bei mir vorgefahren sind. Da hat wohl einer ein bisschen was dazugedichtet.
    »Klar. Mit Wasserwerfern und einer Spezial-Eingreiftruppe. Die haben sich vom Dach abgeseilt«, sage ich ernst.
    Der Typ fühlt sich irgendwie verarscht. Sein Problem. Philipp hätte gelacht.
    Als Benny und ich unsere Hosen - seine getrocknete, meine zu kleine - austauschen, kommt Tom dazu.
    »Was ist denn das? Spielt ihr Tote Hosen?«
    »Schön wär’s. Unsere Band ist toter als die Toten Hosen. Wir sind eher ein Trio banal. Was ist mit dem Sänger, den du organisieren wolltest?«, frage ich Benny.
    Der verdreht die Augen.
    »Ich hab den Typen gefragt. Der will auch gern in einer Band singen. Allerdings mehr so Justin-Timberlake-mäßig.«
    »Das kann er knicken.«
    Langsam werde ich echt sauer. Seit Monaten suchen wir einen Sänger für unsere Band. Es war schwierig genug, Benny und Tom zum Mitspielen zu überreden. Tom hat sich mittlerweile aber sogar eine neue Bassgitarre gekauft. Die alte klang, als hätte er Wäscheleine als Saiten aufgezogen. Wir proben jeden Mittwoch. Jeden Mittwoch dieselben Songs instrumental. Das nervt.
    »Ich kümmer mich mal drum«, nehme ich mir vor und lass
die beiden stehen. Mein Board unterm Arm wird langsam schwer, außerdem will es auf den Asphalt. Ich nehme den Radweg zum Containerhafen. Schon jetzt weiß ich, dass der Nachmittag nicht wie geplant verlaufen wird. Wenn ich um fünf Uhr beim Hockey-Training sein will, muss ich den direkten Weg nach Hause nehmen. Dann kriege ich die Hausaufgaben hin, ehe ich zum Sportplatz muss. Nach dem Training habe ich ganz bestimmt keinen Bock mehr auf Mathe, Latein und Bio. Theoretisch könnte ich die Hausaufgaben einfach nicht machen. Aber das ist mir zu doof. Es ist mir peinlich, morgen oder übermorgen zu behaupten:
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