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Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Titel: Die Stadt der Heiligen (German Edition)
Autoren: Petra Schier
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Prolog
    JAKOBSWEG, BEI PAMPLONA
    24. DEZEMBER, ANNO DOMINI 1411

    S till und in Gedanken versunken stand Christophorus am Grab seines Freundes. Ein feuchtkalter Wind fegte über den kleinen Bergfriedhof und klappte die Kapuze von Christophorus’ Pilgermantel hoch. Mechanisch zog er sie ganz über den Kopf, löste jedoch nicht den Blick von dem mit Steinen umrandeten Grabhügel und dem simplen Holzkreuz.
    Aldo Schrenger hatte einen richtigen Leichenstein verdient, nicht dieses windschiefe Ding, auf dem nicht einmal sein Name vermerkt war. Doch er hatte es nicht anders gewollt.
    Kein Aufhebens, hatte er gesagt, kurz bevor es mit ihm zu Ende gegangen war. Wem soll ein weiterer Grabstein am Weg des heiligen Jakobus nützen? Doch nur dem Steinmetz, der ihn anfertigt. Kein Aufhebens.
    Christophorus schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, hob er den Kopf ein wenig an und konnte so über den Rand der Friedhofsmauer bis hinüber nach Pamplona sehen.
    Sieben Tage waren seit dem Tod seines Freundes verstrichen. Christophorus hatte währenddessen gebetet, getrauert und einem jungen Barbiergesellen namens Artur zur Flucht aus der Stadt verholfen. Nun wurde es auch für ihn Zeit, weiterzuziehen. Zwar würde er in diesem Winter die Pyrenäen nicht mehr überqueren können, doch er hatte bereits eine Reisegruppe gefunden, der er sich im Frühling anschließen würde.
    Sein Ziel war Aachen, die Stadt des heiligen Karl, Aldos Heimat. Die Reisegruppe bestand aus Pilgern und Gauklern sowie einigen Kaufleuten, die allesamt zur Heiltumsfahrt nach Aachen ziehen wollten. Die Pilgerreise dorthin war ein Ereignis, beinahe zu vergleichen mit Santiago de Compostela oder gar dem heiligen Rom. Auch die Tatsache, dass in Aachen die großen Reliquien nur alle sieben Jahre gezeigt wurden, war etwas Besonderes. Jeder gläubige Christ erschauerte schon bei dem bloßen Gedanken an den Anblick der Windeln und des Lendentuchs des Heilands, des Kleides der Gottesmutter Maria oder des Enthauptungstuchs Johannes des Täufers. Tausende und Abertausende Menschen würden im Juli des kommenden Jahres nach Aachen ziehen.
    Christophorus wandte sich nun doch vom Grab ab und ging langsam zurück zur Friedhofspforte, vor der er sein Maultier angebunden hatte. Eine solche Menge von Pilgern versprach ein gutes Geschäft für ihn. Den Winter würde er dazu nutzen, seine Vorräte aufzufüllen.
    Er wäre auch nach Aachen gezogen, wenn Aldo nicht gestorben wäre. Als Junge von sieben Jahren hatte Christophorus einst mit seinen Eltern die Heiltumsweisung besucht. Die Stadt, die vielen Menschen und die wunderbaren Reliquien hatten ihn so sehr beeindruckt, dass er gelobt hatte, noch einmal in seinem Leben dorthin zu reisen. Dass er nun mit Trauer im Herzen und schlimmen Nachrichten für die Familie seines Freundes im Gepäck nach Aachen gehen musste, änderte nichts daran, dass er die Stadt nach einigen Wochen als wohlhabender Mann wieder verlassen würde. Dieser Plan würde ihm Antrieb geben.
    Sein Schmerz würde vergehen und nach einer Weile nichts als die Erinnerung an eine große Freundschaft bleiben.
    Und an das Versprechen.
    Christophorus band das Maultier los und führte es langsam den steilen, gewundenen Pfad hinunter zur Straße, die nach Pamplona hineinführte.
    Er würde sein Versprechen halten, wenn er auch noch nicht wusste, wie er das bewerkstelligen sollte. Doch er würde es niemals brechen – man konnte über ihn sagen, was man wollte; er, Christophorus, stand zu seinem Wort.

1. Kapitel
    AACHEN
    2. JULI, ANNO DOMINI 1412

    A francba!» Marysa warf die angefangene Handarbeit zurück in den Korb. «Für diesen Kram habe ich einfach keine Geduld.»
    «Was du nicht sagst», schmunzelte ihre Mutter Jolánda und strich die Stickerei auf der Haube, die sie gerade beendet hatte, glatt. «Warum fängst du bloß immer wieder damit an?»
    Marysa verzog verärgert das Gesicht. «Weil er es so will. Es geht ihm einfach nicht in den Kopf, dass ich kein Talent fürs Sticken und Nähen habe. Viel lieber würde ich die Laute hervorholen. Wie lange habe ich schon nicht mehr gesungen! Weißt du noch, wie wir immer gemeinsam mit Vater musiziert haben?»
    Jolánda nickte ruhig. «Wie könnte ich das je vergessen.» Sie streckte die Hand aus und legte sie ihrer Tochter auf den Arm. «Reinold hat dir das Singen doch nicht verboten, oder?»
    «Nein.» Marysas Miene hellte sich eine Spur auf. «Nein, das hat er nicht. Jedenfalls nicht direkt. Er mag es nur
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