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Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition)
Autoren: Carol Grayson
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„Träum süß, meine Prinzessin, bevor das Vergessen dich ereilt.“
    Er hatte Fabienne auf die Chaiselongue gebettet, kniete vor ihr und ließ ihren Kopf, der nun wie in Zeitlupe zur Seite glitt, in seiner Armbeuge ruhen. Behutsam strich der junge Mann über die zitternden Augenlider der zierlichen Frau in seinen Armen. Ihre Haut war so bleich und zart wie Porzellan. Genüsslich sog er den Duft ihres süßen Rosenparfüms ein. Seine Nasenflügel bebten. Er konnte den nahenden Tod bereits riechen. Das war jener kostbare Augenblick, wenn die süße Wärme der Haut ein letztes Mal aufglühte, bevor sie für immer erlosch. Bei dieser entzückenden, jungen Baronesse war er sehr vorsichtig vorgegangen. Er wollte nichts zerstören. Schließlich war er ein Ästhet, er liebte und achtete die Schönheit. Vergänglichkeit war ihm hingegen ein Gräuel. Seine rechte Hand folgte der Wange bis hinunter zu dem Gazellen gleichen Hals, der das Siegel seines Kusses trug. Den letzten winzigen Blutstropfen fing er mit seinem Zeigefinger auf und leckte ihn ab. Sie war so ahnungslos in seine charmanten Fallstricke geraten. Es hatte nicht einmal lange gedauert. Fabienne Conechet hatte seinem Auftraggeber im Wege gestanden, ohne es zu wissen. Es ging um ein reiches Erbe. Durch das frühzeitige Ableben der jungen Dame stieg sein Auftraggeber in der Erbfolge an die nächste Stelle. Marcel zog seinen Arm unter dem Kopf seines Opfers hervor und erhob sich. Es war dunkel in dem kleinen, weiß gestrichenen Gartenpavillon, nicht einmal eine einzelne Kerze brannte. Aber das störte ihn nicht. Er konnte im Dunkeln ausgezeichnet sehen. Eine Zeitlang blieb er auf der kleinen Terrasse stehen, genoss den Duft einer lauen Sommernacht und lauschte dem Zirpen der Grillen.
    Marcel war von akribischer Sorgfalt, wenn er einen Auftrag erfüllte, und er genoss jeden einzelnen auf seine ganz besondere Weise. Im Laufe der Jahre waren seine Macht und sein Einfluss gewachsen. Der Adel schätzte ihn nicht, er respektierte, ja, fürchtete ihn. Man konsultierte ihn, wenn man unliebsame Gegenspieler oder verflossene Liebhaber, die zuviel wussten, loswerden wollte. Die feinen Damen verbargen ihr Antlitz hinter den bunten Seidenfächern, wenn er sich näherte, zumeist in schwarz gewandet. Nur das Weiß seines Jabots, der Spitzenmanschetten und der Kniestrümpfe bildete einen farblichen Kontrast zu dem schimmernden Stoff seines Gehrocks, der bestickten Weste und seiner Beinkleider. Zu feierlichen Anlässen trug er manchmal ein tiefdunkles Rot. In anderen Farben sah man ihn nie gekleidet. Marcel Saint-Jacques war ein wandelndes Geheimnis. Man flüsterte hinter seinem Rücken von schwarzer Magie und geheimen Riten, nicht ahnend, dass dieser hagere junge Mann jedes Wort selbst auf weite Entfernung hin verstehen konnte. Er war froh, dass man seine Dienste zu schätzen wusste – und fürstlich entlohnte. So war er vor Verfolgung sicher. Der Adel war zu dieser Zeit fasziniert von allem Okkulten und so wie er, Marcel Saint-Jacques, sein Geschäft verstand, gab es für alle Probleme eine todsichere Lösung. Er war ein Auftragskiller par excellence. Er benötigte weder Gift noch eine Waffe. Er selbst war die Waffe. Man nannte ihn hinter vorgehaltener Hand „Le Rédempteur“ – den Erlöser. Er hatte sich seine „Berufung“ nicht ausgesucht, das Schicksal hatte ihn dazu bestimmt. Und er hatte diesem Schicksal zugestimmt. Marcel schloss leise die verglaste Verandatür hinter sich, so. als würde er Rücksicht auf die ewig Schlafende nehmen, und ging langsamen Schrittes davon. Diese Nacht erinnerte ihn an jenen herrlichen Sommer 1667, in dem alles begann:
     
    Marcel Saint-Jacques hatte es nie leicht gehabt als adeliger Bastard. Sein Vater, der Comte Saint-Jacques, hatte sich in mit einer bezaubernden, aus Martinique stammenden Dienerin namens Alina eingelassen, nachdem seine Frau bei der Geburt seines ersten Kindes verstarb, das zudem noch ein Mädchen war. Alina war ausgerechnet die Zofe seiner Frau gewesen! Seiner Tochter Elise schenkte er immer weniger Aufmerksamkeit, nachdem Alina ihm den lang ersehnten Sohn geschenkt hatte.
    Der Comte selbst war Marcel gegenüber ein fürsorglicher Vater, der es dennoch nicht wagte, sich öffentlich zu seinem unehelichen Sprössling zu bekennen oder ihn gar in die Gesellschaft bei Hofe einzuführen. Marcel musste im Dienstbotentrakt aufwachsen und wurde für leichte Stall- und Gartenarbeit herangezogen. Dennoch gestattete der Graf ihm,
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