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Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Titel: Die Stadt der Heiligen (German Edition)
Autoren: Petra Schier
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Fremdenführer benötigen …»
    «Ihr findet mich jeden Tag irgendwo am Markt, es sei denn, ich habe gerade einen Kunden, dem ich die Stadt zeige», erklärte Milo aufgeregt und prüfte den Pfennig, indem er darauf biss. Dann nickte er Christophorus noch einmal zu und machte sich davon.
    Christophorus blickte an der ordentlich gekalkten Fassade des Hauses empor und machte dann einen Schritt auf die Haustür zu.
    «Kann ich Euch behilflich sein, Bruder?» Auf der rechten Seite bog gerade ein alter Mann um die Hausecke. Sein graues Haar umrandete eine Halbglatze, und über seiner beeindruckenden Hakennase leuchteten zwei aufmerksame blaue Augen. Er trug einen Eimer mit Getreide, also handelte es sich wohl um einen Knecht.
    Höflich nickte Christophorus ihm zu. «Ich suche die Witwe Schrenger und ihre Tochter Marysa.»
    «Dann seid Ihr hier richtig.» Der Knecht lächelte und entblößte dabei ein unerwartet gesundes und vollständiges Gebiss. «Frau Jolánda und Frau Marysa sitzen hinten in der Laube. Ich kann Euch hinführen, wenn Ihr wollt.»
    «Ich bitte darum.» Christophorus folgte dem Knecht um die linke Hausecke zu einem übermannshohen Tor, das wohl in den Hinterhof führte. Der Knecht stieß das Tor auf, wartete, bis Christophorus sein Maultier an einem Pfosten angebunden hatte, und ließ ihn eintreten. Das Tor zog er sogleich wieder zu. Damit wurde der Lärm der Straße ein wenig abgemildert, und sie konnten nun leise Lautenklänge vernehmen.
    «Frau Marysa spielt», sagte der Knecht und blieb stehen. «Das tut sie nicht mehr oft. Ihr solltet warten, bis sie aufhört.»
    Christophorus hob überrascht die Brauen und folgte dem Knecht erneut, als dieser sich langsam einer kleinen blumenberankten Laube rechts hinten in dem quadratischen Hof näherte.
    Die Lautenklänge wurden deutlicher; er vernahm ein bekanntes Frühlingslied, vorgetragen von einer angenehmen glockenhellen Stimme:
«Maienzit Ane nit Vröuden git Widerstrit;
Sin widerkumen kan uns allen helfen.
Uf dem plan Ane wan Sicht man stan Wolgetan
Liehtiu bruniu bluemlin biden gelfen;
Durch das gras sint si schon ufgedrungen.
Und der walt Manihvalt ungezalt Ist erschalt,
Daz er wart mit dem nie baz gesungen.»
    Christophorus trat noch einen Schritt vor, sodass er um einen der berankten Pfosten der Laube herumschauen konnte, und erblickte eine junge Frau in einem hellgrünen Kleid, die mit halbgeschlossenen Augen auf einem gepolsterten Hocker saß und beim Singen die Laute schlug. Sie schien ganz in ihrem Gesang aufzugehen und nichts von ihrer Umgebung zu bemerken. Vor ihr auf einer Strohmatte saß ein blasses Mädchen, das einen Schuh polierte und verzückt lauschte.
    Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Für einen langen Moment ließ Christophorus seinen Blick auf dem Gesicht der jungen Frau ruhen. Sie war weder besonders hübsch noch hässlich, soweit er das bei dem strengen weißen Gebende und dem Schleier, der ihr Gesicht umrahmte, beurteilen konnte. Doch sie erinnerte ihn sofort an Aldo.
    Als Marysa ihr Lied beendet hatte, trat der alte Knecht vor und räusperte sich vernehmlich.
    Sie hob den Kopf. «Ja, Grimold, was gibt es?»

2. Kapitel
    M arysa starrte auf den versiegelten Brief, den Christophorus ihr übergeben hatte, doch sie konnte sich nicht durchringen, ihn zu öffnen.
    Aldo war tot. Ihr geliebter Bruder war nicht mehr; irgendetwas in ihrem Kopf weigerte sich, dies zu begreifen. Er war schon mehr als ein Jahr fort gewesen, auf einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela. Schwesterchen, hatte er bei seinem Fortgehen gesagt, wenn ich zurückkomme, bringe ich dir die schönste Reliquie mit, die ich finden kann. Und für seinen Vater hatte er ebenfalls Reliquien einkaufen wollen. Heiltümer, die Gotthold Schrenger hätte gewinnbringend weiterverkaufen können. Nun lag vor Marysa auf dem mit Blütenranken bestickten Tischtuch eine Jakobsmuschel. Das Pilgerabzeichen, das Aldo an seinem Mantel getragen hatte, und daneben sein silbernes Kruzifix. Seit sie denken konnte, hatte er es an einem Kettchen um den Hals getragen, und nun sollte es ihr gehören. Flüchtig dachte sie an ihr eigenes kleines Kruzifix. Sie hatte es ihrem Bruder bei seinem Fortgehen als Glücksbringer mitgegeben. Wo es wohl abgeblieben war? Sie wollte den Dominikaner jedoch nicht danach fragen. Vielleicht hatte er es ja mit Aldo begraben.
    Ihre Mutter saß auf der Bank am anderen Ende des Tisches und schluchzte. Auch sie hielt einen Brief ihres Stiefsohnes in der Hand. Doch
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