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Schmerzspuren

Titel: Schmerzspuren
Autoren: C. Bertelsmann
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die Couch setzen, mein Vater wird da schon mit besorgtem und wütendem Blick warten. Dann wird meine Mutter auf mich einreden. Dann muss ich irgendwann sagen, dass es mir leid tut, und dann wird der Fernseher angemacht.
     
    Ich mache die Haustür zu. War wohl zu schnell. Ich ziehe die Schuhe aus. Sie steht immer noch nicht vor mir. Vom Flur aus höre ich, dass sie im Wohnzimmer ist. Das Radio läuft. Vielleicht hat sie die Tür nicht gehört. Ich hole mir eine Cola, lasse die Kühlschranktür klirrend zufallen. Jetzt wird sie kommen und meckern, dass ich zu viel Cola trinke. Ich lehne an der Spüle. Warte. Sie kommt nicht. Langsam gehe ich in mein Zimmer. Was soll das? Ist das jetzt ihre Strafe? Oder hatte ich recht? Hat sie einfach keinen Bock auf mich? Vielleicht noch nie gehabt. Als ich die CD wechsel, höre ich, dass unten der Fernseher läuft. Ich mache mir in der Küche ein Brot, nebenan reden meine Eltern. Ich bin irgendwie nicht eingeladen. Mein Zimmer wird zum Gefängnis. Das können sie haben. Hinten im Schrank finde ich die schwarze Farbe. Damit haben wir letztes Jahr mein Bett lackiert, weil ich diese albernen Motive darauf nicht mehr sehen konnte. Die Dose ist noch halb voll. Ich fange mit der Wand neben der Tür an. Ich ziehe ganz dünne Striche von ganz oben bis zum Teppichboden. Ganz dicht nebeneinander. So dicht, dass sie sich gerade soeben nicht berühren. Es ist total mühsam, weil ich immer wieder rauf auf den Stuhl muss und dieser blöde Stuhl sich immer dreht. Aber es wird ganz gut. Wirkt immer besser. Nach jedem Strich. Ein bisschen wie die Barcodes, die an Kassen
über den Scanner gezogen werden. Oder wie ein schwarzer Vorhang. Ich lege mich aufs Bett, fixiere die Wand. Mal sehe ich die Streifen scharf, mal die Wand dahinter. Ich gehe mit dem Teppichmesser ganz vorsichtig über meine Hand. Ganz zart. Ich lege es schnell wieder weg, ehe ich die Kontrolle verliere.
     
    Ich mache die Augen zu. Stelle mir vor, wie ich mit dem Board unterwegs bin. Immer schneller. Dann ist da ein LKW Ich sehe richtig die erschrockenen Augen des Fahrers, der mit aller Kraft auf die Bremse steigt. Ich lache ihn an. Vielleicht kommen dann meine Eltern vorbei. Sie sehen den Unfall, das Blut. Vielleicht noch, wie ein Sanitäter verzweifelt meine Brust immer wieder runterdrückt. Und dann erkennt meine Mutter mein Skateboard. Ich schlafe ein.
     
    Ich gewöhne mich an die Kälte. An die Stummheit. Ich schlafe hier, ich esse hier. Alles andere erreicht mich nicht mehr. Alles in mir zieht sich zusammen. Kleiner, kleiner. Manchmal erschrecke ich kurz, wenn ich an einem Spiegel im Flur oder Bad vorbeikomme. Ich bin hier fehl am Platze. So wie bei diesen tollen Kinderrätseln: Apfel, Banane, Apfelsine, Auto. Was gehört nicht dazu? Nur im Probenraum fühlt sich meine Haut weicher an. Ich fahre am Nachmittag hin. In der Stadt habe ich Ohrringe gekauft. Als nachträgliches Geburtstagsgeschenk für Lea. Kleine Ohrstecker in Notenform. Irgendwie süß. Ich will sie an ihr Mikro hängen. Vielleicht sage ich gar nicht, dass sie von mir sind. Nicht, dass sie irgendwas Doofes denkt.
    Ich bin völlig überrascht, dass sie oben im Cafe sitzt. Sie
wirkt irgendwie, als hätte ich sie gerade beim Klauen erwischt.
    »Was machst du denn hier?«, fragt sie laut.
    »Wollte nur was nach unten bringen.« Ich halte das Kästchen in der Jackentasche fest. Sie setzt sich wieder.
    »Ach so. Dann bis morgen.«
    Komisch, dass sie gar nicht nachfragt. Sie wirkt irgendwie fremd. Als würden wir uns kaum kennen. Die Typen neben ihr gucken mich gelangweilt an. Vielleicht sind die ja von ihrer Schule.
     
    Zu Hause mache ich mit der Wand weiter, an der mein Bett steht. Dafür muss ich es abrücken. Ich finde drei Socken, eine Schlafanzughose und ein Panini-Sammelalbum. Fast voll. Hinten liegen ein paar Doppelte drin und ein Zettel. »He Ben, wenn du mir Philipp Lahm und Michael Ballack gibst, lasse ich dich die nächsten fünf Mal beim Kickern gewinnen. Philipp.« Der Witzbold. Ich habe eh immer beim Kickern gewonnen. Lahm und Ballack sind nicht mehr dabei. Wahrscheinlich habe ich sie ihm doch gegeben. Ich schnappe mir das Messer und mache Fußballspieler-Lametta. Als ich mit der zweiten Wand fertig bin, fällt mir fast der Arm ab. Bin ja mal gespannt, wie meine Eltern auf meine Malaktion reagieren. Allein der Farbgeruch müsste sie schon anlocken. Offenbar haben sie Schnupfen. Sie kommen nicht. Eigentlich wäre es total cool, wenn wir so bemalte
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