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Schattenprinz

Schattenprinz

Titel: Schattenprinz
Autoren: Clay und Susan Griffith
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    » E ure Hoheit wären unter Deck sicherer. Es wird allmählich dunkel. Vampire sind sehr unberechen bar.«
    »Danke, Colonel, aber ich glaube, ich bleibe noch ein wenig hier oben. Es ist ziemlich warm. Das sollte doch dafür sorgen, dass sich die Biesterchen ruhig verhalten, nicht wahr?«
    Prinzessin Adele bemerkte ein leichtes Lächeln auf dem dunklen, fein gemeißelten Gesicht von Colonel Mehmet Anhalt, der dicht neben ihr stand, wie es seine Gewohnheit war. Unter ihrem Blick überspielte der untersetzte, aber kräftig gebaute Gurkha-Offizier seine Belustigung mit einem Räuspern und bot ihr sein Teleskop an. »Wenn das so ist, würden Sie dann vielleicht gerne einen Blick riskieren, Hoheit?«
    »Ja, durchaus. Danke, Colonel Anhalt.« Adele überquerte das Achterdeck der HMS Ptolemy und hüpfte mit kindlichem Vergnügen die drei Stufen zur Mitte des Schiffs hinunter. Eine Gruppe von Rotröcken ihrer Hausgarde teilte sich, um ihr den Weg zur Backbord-Reling frei zu machen. Eine steife Brise drückte den schweren Rock gegen ihre Waden und zerrte peitschend an den Enden des Schals, der Mühe hatte, ihre langen, kastanienbraunen Locken im Zaum zu halten.
    Mit einem Schnappen zog Adele das Messingfernrohr aus und stemmte die gestiefelten Füße gekonnt gegen die Schaukelbewegung des Luftschiffs. Am dunkler werdenden östlichen Himmel färbten sich die fernen Wolken leuchtend orange und tiefviolett. Fünf Meilen querab backbord erblickte Adele die Silhouetten von zwei Gestalten, die in der Luft schwebten.
    Vampire.
    Die junge Prinzessin durchrieselte ein köstlicher Schauer. In den Straßen ihrer Heimat Alexandria wurden gelegentlich Vampirkadaver zur Schau gestellt, und sie hatte sogar den angeblichen konservierten Kopf des Clanoberhaupts von Wien besichtigt. Doch lebende Exemplare hatte sie bisher nur wenige gesehen. Diese beiden trieben mit ausgebreiteten Armen und Beinen reglos in der Luft, getragen von den Winden, die ihre nahezu schwerelosen Körper leicht vibrieren ließen.
    Als einer von ihnen den Kopf wandte und ihr, wie sie glaubte, mit kaltem Blick in die Augen sah, durchfuhr sie Entsetzen. Sie erbleichte und schob mit einem scharfen Atemzug das Fernrohr zusammen. Verärgerung darüber, dass diese Kreatur sie so erschreckt hatte, stieg in ihr hoch. Es war ja nicht so, als hätte die Bestie sie wirklich angesehen. Sie hatte einfach nur in die Richtung des Schiffes geblickt. Angestrengt darum bemüht, vor ihren Gardisten die Fassung wiederzuerlangen, nahm sie ihren Spaziergang übers Achterdeck wieder auf.
    Plötzlich stürzte ein kleiner Junge durch die Hauptluke an Deck. Sein Gesicht war vor Anstrengung gerötet, da er den Niedergang hochgerannt war. Tatsächlich rannte er immer, wohin er auch ging. Er war beinahe zwölf Jahre alt und immer noch rundgesichtig wie ein Baby, mit dunklerem Haar als Adele, das er kurz geschnitten trug. Mit dem weit fließenden, gestreiften Beduinengewand über Kniehosen und Sandalen sah er aus wie ein Gassenjunge aus den Straßen Kairos.
    Er flitzte an Adeles Seite und rief: »Ich habe gehört, dort draußen sind zwei von denen!«
    Prinzessin Adele bot ein völlig anderes Bild als ihr wilder, jüngerer Bruder Simon. Sie war die Thronerbin, die zukünftige Kaiserin, und ihre sehr angemessene Reisekleidung war aus Gründen der Staatsräson ausgewählt worden. An diesem Tag trug sie ein schweres Baumwollhemd, eine lederne Jacke mit einer persischen Schärpe und einen langen Rock aus Veloursamt, der hohe Lederstiefel verhüllte. In der Schärpe steckte ihre wertvolle Waffe, ein Khukri, ein Dolch mit breiter Klinge und juwelenbesetztem Griff, der ein Geschenk ihrer Mutter gewesen war. Darüber hinaus war er eine Fahrenheit-Klinge mit chemischen Zusätzen in der Scheide, die dem Stahl eine außerordentliche Hitze verliehen, sobald er der Luft ausgesetzt wurde. Das machte ihn vernichtender als eine normale Klinge.
    Das Messer war nicht das Einzige, was Adele von ihrer persischen Mutter geerbt hatte. Sie trug einen leichten Schleier um Kopf und Schultern, um sie vor Sonne und Wind zu schützen. Im Gegensatz zu dem rotwangigen Gesicht ihres Bruders, das er von ihrem Vater, Kaiser Constantine II. geerbt hatte, besaß Adele die olivfarbene Haut und die markante Nase der verstorbenen Kaiserin. Ihr äußeres Erscheinungsbild war unter den am Kaiserhof in Alexandria vorherrschenden Höflingen mit nördlicheren Zügen Gegenstand verhohlenen Spottes.
    »Sie sind sehr weit weg, Simon.«
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