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Blaue Wunder

Blaue Wunder

Titel: Blaue Wunder
Autoren: Ildikó von Kürthy
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« Warum den Mann,       
    den man liebt, gleich zu Anfang 
    überfordern?»         
     
    Entweder mache ich mir Sorgen oder was zu essen. So war das eigentlich immer in meinem Leben. Appetit, außer auf alles, was gesund ist, und Probleme, meist in Form von Männern, die Sachen sagen wie: «Elli, es liegt nicht an dir, ich bin einfach noch nicht bereit für eine neue feste Beziehung» - das waren jahrelang meine zuverlässigsten Weggefährten. Jetzt haben mich diese beiden Begleiter urplötzlich verlassen. Ich habe keinen Hunger und keine Probleme mehr. Schwer zu glauben.
    Ich betrachte wohlwollend meine Oberschenkel und die fremde Stadt, die mir zu Füßen liegt. Wahrscheinlich ist es schon nach zehn und eigentlich zu kalt, um hier draußen im Dunkeln zu sitzen. Aber ich kann nicht genug bekommen von dem Anblick. Keine Stadt noch meine Schenkel haben jemals besser ausgesehen. Der Blick von hier oben reicht bis zur Alster. Die Baumkronen enden weit unter meinem exklusiven Hochsitz, und ich kann in helle, edle Wohnungen mit Parkettboden und indirekter Beleuchtung schauen. Über mir gibt’s nur noch Himmel. Und eigentlich, wenn ich an dieser Stelle mal so rührselig sein darf, ist für mich derzeit überall Himmel.
    Vor vierzehn Tagen, sieben Stunden und vierunddreißig Minuten hat sich mein Leben verändert. Das weiß ich deshalb so genau, weil meine Uhr bei dem Unfall stehen geblieben ist. Und bei dem Unfall habe ich mich verliebt. In einen Mann mit rötlichen Haaren und Dachterrasse. Unbekanntes Terrain für mich, das eine wie das andere. Vor schierer Aufregung habe ich in kürzester Zeit massiv an Umfang verloren, habe Oberschenkel wie zuletzt als Sechzehnjährige, als ich noch regelmäßig Sport trieb, und einen Körperfettanteil wie zu Zeiten, als man den noch gar nicht messen konnte. Alles ist gut. Ich bin glücklich. Und das ist mir schon lange nicht mehr passiert.
    «Hast du einen besonderen Wunsch?»
    Ich tauche träge aus meinen Dachterrassen-Gedanken auf.
    «Mmmmh, ich bin gerade so glücklich. Irgendwas mit möglichst vielen Toten wäre schön.»
    «Elisabeth, du bist wirklich seltsam. Aber großartig seltsam. Bin in zehn Minuten wieder da. Bis gleich!»
    Die Tür fällt ins Schloss, und ich lausche seinen Schritten im Treppenhaus hinterher.
    Niemand, außer meinem Erdkundelehrer, hat mich je ungestraft Elisabeth genannt. Aber auf einmal gefällt mir sogar mein eigener Name. Auf einmal gefällt mir alles. Ich bin eine völlig verrückte Verliebte, und ich denke, dümmlich vor mich hin lächelnd, an die Armee dunkelblauer und dunkelgrauer Pullunder, die in seinem Schrank hängt.
    Ich konnte Pullunder noch nie leiden. Ich finde, darin sieht jeder Mann aus wie der Bundespräsident, wenn er morgens im Frühstücksraum von Schloss Bellevue zusammen mit seiner Gemahlin für den Fotografen einer Frauenzeitschrift so tut, als schenke er sich gerade Kaffee nach. Mit Martin und seinen Pullundern ist das aber komischerweise ganz anders. Sie verleihen ihm zwar eine seriöse Ausstrahlung, wirken aber dennoch an ihm wie Reizwäsche, erregend und seine natürliche Männlichkeit hervorhebend.
    Oder nehmen wir sein Autokennzeichen: HH-WC 2. Das ist natürlich völlig indiskutabel. Und die Tatsache, dass sein Vater mit HH- WC 1 rumfährt, macht die Sache nur noch schlimmer.
    Aber bei meinem Liebsten empfinde ich diese Autonummer als überlegene, selbstironische Anspielung auf seine berufliche Tätigkeit, von der er sich dadurch liebevoll distanziert. Martin ist Juniorchef eines Sanitärgroßhandels. Sein Vater ist, durch das Kennzeichen WC 1 unschwer zu erahnen, der Seniorchef. Tja, mein neuer Freund ist Herr über Mischbatterien und Toilettenspülungen.
    Was soll ich sagen? Auch kein Beruf, den ich in der Spalte «Welcher Arbeit sollte Ihr Traummann nachgehen?» eingetragen hätte. Aber wie egal einem so was alles wird, wenn das Herz vor Liebesglück weich und milde gestimmt ist. Mit einem Mal überlegst du, warum dir nicht längst aufgefallen ist, wie faszinierend das Sanitärbedarfgewerbe im Grunde genommen ist. Und du fragst dich, warum es dir bisher entgehen konnte, wie zauberhaft Haare mit einem leichten Rotstich im Licht der Morgensonne glänzen.
    Mir ist völlig klar, dass ich den Verstand verloren habe. Natürlich habe auch ich in Frauenzeitschriften gelernt, dass die erste Phase der Verliebtheit Serotoninmangel im Gehirn verursacht. Dass Wahrnehmung und Verhalten gestört sind und die Symptome
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