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Blaue Wunder

Blaue Wunder

Titel: Blaue Wunder
Autoren: Ildikó von Kürthy
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Toni, die war leidenschaftlich und dennoch harmonisch. Jedenfalls für ein paar Tage. Bis mir klar wurde, dass ich es mit einem abnorm eifersüchtigen Menschen zu tun hatte.
    Vorher hatte ich männliche Eifersucht selten erlebt, und wenn, dann als schmeichelhaft empfunden. Wie erhebend, dass sich da jemand vorstellen konnte, dass ich auch noch woanders Chancen hatte! Ich änderte meine Meinung, als Toni meine neuen Holzclogs in seiner Sitzbadewanne verbrannte, weil seiner Meinung nach der Verkäufer im Bioladen versucht hatte, bei der Übergabe des Zwölfkornmüslis meine Hand unsittlich zu berühren.
    Zwei Monate lang ertrug ich haltlose Vorwürfe und Unterstellungen, ließ mich beschatten und kontrollieren. Dann platzte mir der Kragen, und ich dachte: «Wenn ich sowieso wie eine Betrügerin behandelt werde, wäre es rational betrachtet sinnvoller, auch eine zu sein.» Und, so bezähmte ich mein schlechtes Gewissen, schließlich war es ja Toni selbst gewesen, der mich auf den Bioladen-Verkäufer aufmerksam gemacht hatte.
    Drei Wochen später war ich wieder allein stehend, dafür aber ausgestattet mit profunden Kenntnissen über die Zubereitung von Tofu und Dinkel.
    Ich betrachte immer noch völlig entrückt mein wunderschönes, in rotes Leder gebundenes Tagebuch. Was schreibe ich denn mal? Ich könnte eine Liste machen mit Sachen, die ich dringend an mir ändern muss. Ich könnte aber auch die Liste nochmal durchgehen, die ich letzte Woche geschrieben habe, auch mit Sachen, die ich dringend an mir ändern musste. Mal sehen, der erste Punkt war: «Regelmäßig mindestens dreimal die Woche Sport mit Pulsfrequenz nicht über 135.» Nun, dazu war ich irgendwie noch nicht so richtig gekommen. Zählt Sex eigentlich als Sport, und wenn ja, wie ermittelt man dabei möglichst unauffällig die aktuelle Pulsfrequenz? Ein interessanter Gedanke. Ich schreibe in Schönschrift:
     

31. APRIL
     
    Zeit: zwanzig Uhr dreißig
    Ort: Dachterrasse
    Stimmung: Ab morgen ist Wonnemonat Mai und ich bin mit dabai! (hi, hi, hi, neige zu Albernheit in meiner Verfassung)
    Weitere Aussichten: ewige Liebe in der Endetage
    plus Idealgewicht, außer während
    der Schwangerschaften
     
    Liebes Tagebuch!!!
    Am liebsten würde ich es jedem erzählen, dem Metzger, dem Busfahrer, arglosen Passanten, den Kolleginnen im Büro. Besonders der fiesen Heike, die mich so von oben herab behandelt. Ich freue mich auf den Tag, an dem Martin mich von der Arbeit abholen wird, mit diesem großen, dunklen Auto, das aussieht, als sei es ausschließlich gebaut worden, um Diplomaten und Regenten darin zu befördern. Dann werde ich sagen: «Weißt du, Heike, mein Freund ist Geschäftsmann. Er findet es zwar überflüssig, dass ich arbeite, aber solange es Spaß macht, sage ich immer, ist das doch wie ein bezahltes Hobby, nicht wahr? Tschüs.» Aber leider muss ich Martin zuliebe meinen Mitteilungsdrang noch etwas bremsen. Er möchte noch nicht, dass es alle wissen. Das mit uns. Und so habe ich es nur Erdal erzählt und Petra, der ich jeden Tag geistesumnachtete Mails und mehr oder weniger aussagekräftige Digitalfotos nach Goa schicke, die ihr von den winzigsten, in meinen Augen aber dennoch irrsinnig interessanten Details unserer Liebe berichten sollen. «Er muss alle zwei Wochen zum Nachschneiden, weil seine Haare über den Ohren so schnell wachsen», «Er isst gerne Marmeladenbrötchen zum Frühstück» oder «Sein Rasierwasser ist alle» - all das halte ich für absolut mitteilenswert. Hey, ich war zwei Jahre Single. Jedenfalls, wenn man die Kurzzeitbeziehungen nicht mitrechnet. Jetzt bin ich zweiunddreißig und habe den Mann fürs Leben gefunden! Das zu verheimlichen ist, als dürfe man über sechs Richtige plus Zusatzzahl nicht sprechen. Aber Martin will noch eine Weile warten, bis er seinen Freunden und seiner Familie von mir erzählt. Sie würden, meint er, womöglich etwas befremdet sein, weil das mit uns alles so schnell gegangen ist. Besonders seine Mutter sei eine sehr konservative Frau, die er nicht unnötig verstören wolle. Und außerdem sei es doch wunderbar und aufregend und viel intimer, die ersten Wochen nach unserem Kennenlernen nur zu zweit und wie im Geheimen zu verbringen.
    Erdal findet das ziemlich komisch. Aber man muss sich vorstellen, habe ich ihm zu erklären versucht, dass diese hanseatischen Kaufmannsfamilien wohl ein ganz anderes Verhältnis zueinander haben als unsereins. Martin zum Beispiel fährt jeden Sonntag zum Kaffeetrinken zu
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