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Lesereise - Inseln des Nordens

Lesereise - Inseln des Nordens

Titel: Lesereise - Inseln des Nordens
Autoren: Barbara Schaefer , Rasso Knoller
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Starke Frauen in hohen Breiten
Was zieht Menschen hinaus ins Weiß?
    Auf Spitzbergen gibt es keine Ureinwohner, alle Menschen, die dort leben, zogen dort hin. Freiwillig. Mitteleuropäer wandern nach Grönland oder Island aus, Abenteurer überwintern im Eis. Was um Himmels willen haben sie dort zu suchen? Was tun sie überhaupt da draußen, in dieser Affenkälte? Was zieht Menschen hinaus ins Weiß?
    Wie alles begann: Ich war im Herbst nach Grönland geflogen, lebte zwei Wochen in Ammassalik, stromerte durchs Dorf, alberte mit Inuit-Kindern herum und glotzte in die Landschaft und aufs Meer. An einem Mittwoch flogen wir ab. Der Helikopter wollte nicht kommen, ich saß auf einem Stein, schaute über die Bucht, in der ein Eisberg gestrandet war, und siehe da: Mir liefen Tränen übers Gesicht! Ich wollte gar nicht weg! Ich kam wieder, wenige Monate später schmiss ich meinen Seesack vor die Eingangstür eines roten Holzhäuschens und blieb drei Wintermonate in Ostgrönland.
    So weit, so romantisch. Aber den Seesack schmiss ich deshalb vor die Tür, weil ich in das Häuschen nicht reinkam. Meterhoch lag Schnee vor der Tür. Frohgemut lieh ich mir eine Schneeschippe und schaufelte mich ins Haus. Doch was Winter in Ammassalik bedeutete, schrieb ich eine Woche später an Freunde: »Ich springe aus dem Schlafsack, draußen Schneesturm. Etwas klappert: die Tür des Schuppens. Mit mehreren Schichten Klamotten stürze ich hinaus, ohne Frühstück, die Haustür lässt sich nicht zuziehen, weil in allen Ritzen Schnee steckt. Die Schuppentür weht wie ein Segel im Sturm, der Wind reißt sie mir aus der Hand, mein Daumen gerät dazwischen. Ich haste ins Haus. Es will nicht warm werden, das Holz ist verbraucht. Ich muss wieder raus! Der Wind bläst mich fast um. Obwohl ich vor ein paar Tagen ein Fixseil als Geländer ums Haus gespannt habe, rutsche ich aus, knalle mit dem Knie aufs Eis. Zurück ins Haus, trotz Goretex ist alles patschnass. Jacke auf die Leine, ein paar Scheite hineingeschoben, fast wird es gemütlich – doch der Wind reißt die Schuppentür wieder auf. Ich bekomme Schreikrämpfe. Keine zehn Minuten war ich im Trockenen, und nun muss ich wieder raus.« Später plagten mich schlichtere Probleme: »Für mein Geburtstagsfest brauche ich einfache Rezepte! Der billigste französische Vin de table kostet sechzehn Mark und eine Dose Bier 2,80 – das wird meine teuerste Party.«
    Da hatte Christiane Ritter noch andere Versorgungsmängel: »Bei kaltem Seehund und Kondensmilch genieße ich die helle Nacht. Mein Mann, der seit Jahren nur Steine und Eis zu sehen bekommen hat, gerät immer wieder in Begeisterung über zartgelben Mohn, der auf hauchdünnen Stängeln im Wind weht, während mich der Anblick der Blumen nicht rührt. Ich esse sie alle auf und bilde mir ein, es wären vitaminhaltige Gemüse.« Das Buch »Eine Frau erlebt die Polarnacht« ist ein Klassiker der Arktis-Literatur; in den dreißiger Jahren folgte die Wienerin ihrem Mann nach Spitzbergen und lebte ein Jahr in einer Jägerhütte. Sie zog ein weises Fazit über ihre weiße Zeit: »Man kann verrückt werden in Einsamkeit und Grauen, man kann auch verrückt werden vor Begeisterung über allzu viel Schönheit. Sicherlich wird man aber niemals in der Arktis etwas anderes erleben als das, was man selbst in sie hineingetragen hat.«
    Mich ließen die hohen Breiten nicht mehr los, ich las jedes Buch, auf dessen Einband Eisberge glänzten. Ich wollte verstehen, warum es Menschen in diese Unwirtlichkeit zog – mich eingeschlossen. In allen Erzählungen ist die Rede von dem besonderen Licht, und bis heute rührt es mich im Innersten, wenn ich an die blauen Eisberge zurückdenke, die im gleißenden Sonnenlicht aus dem Fjord von Ilulissat ins offene Meer hinaustrieben. Wie alle Wüsten ist auch die Eiswüste elementar, Leben und Tod liegen hier so dicht beieinander wie in der Sahara. Dort kann man ohne Wasser nicht überleben, hier nicht ohne Wärme. In der Provence ist es gemütlicher, aber Gemütlichkeit ist nun mal kein Zustand, der zum intensiven Nachdenken anregt. Manche Menschen, mich eingeschlossen, brauchen dazu extremere Bedingungen.
    Ich begann, nach Eisfrauen zu suchen und fand Berühmtheiten wie Fräulein Smilla und unbekannte Heldinnen wie Josephine Peary; sie begleitete ihren Mann Robert E. Peary zwar nicht bis zum Nordpol, fuhr aber 1893 hochschwanger mit nach Nordgrönland. Eskimofrauen begleiteten den Arktisforscher Knud Rasmussen auf seiner fünften
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