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Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition)
Autoren: Ingrid Law
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so unpassend wie nur möglich. Ich rollte aus dem Bett und schaute zu Gypsy, die in einem Nest aus Stofftieren und Kissen lag. Alles Puschelige, Plüschige versammelte Gypsy um sich herum. Sie hatte ihre Kleinkindwelt gern weich und wohlig, ohne Ecken und Kanten. Und wenn sie einmal schlief, ließ sie sich ebenso schwer aufwecken wie ein Faultier.  
    Die Dielen hatten nicht geknackt und mein Bett hatte nicht gequietscht, aber kaum, dass meine nackten Füße den Boden berührten und ich aufstand, um mein Nachthemd zu entwirren, setzte meine Schwester sich in ihrem Bettchen auf und starrte mich an.  
    »Schlaf weiter, Gypsy«, sagte ich.  
    »Nein-nein-nein«, sagte Gypsy – das war ihr Lieblingswort – und rieb sich störrisch die Augen.  
    »Es ist noch zu früh zum Aufwachen. Augen zu – und husch zurück ins Reich der Träume.« Ich ging zu ihr hinüber, deckte sie wieder zu und verließ schnell das Zimmer, bevor sie einen Aufstand machen konnte.  
    Rosafarbenes Licht schien durch die Vorhänge und tauchte den Flur in zarte Morgenröte. Ich war besonders leise, als ich mich an den anderen Schlafzimmern vorbei nach unten schlich; ich wollte niemanden wecken, wollte noch mehr Zeit für mich haben, um zu sehen, was ich sehen konnte, fühlen, was ich fühlen konnte.  
    In der Küche machte ich mir eine Schale Cornflakes und nahm sie mit nach nebenan, wo ich mich im Schneidersitz aufs Sofa setzte. Ich hatte es mir gerade bequem gemacht und die Schale perfekt auf dem Knie abgestellt, als ich einen dumpfen Schlag hörte. Rums, rums, rums. Ich saß mucksmäuschenstill und schaute angestrengt in das dämmrige Zimmer, das Morgenlicht wechselte jetzt von Rosa zu Orange, warf einen pastellenen Schein auf den Stapel mit Mommas Bildern und brach sich am Aquarium von Samsons toter Schildkröte.  
    Rums.  
    Rums.  
    Ich stellte die Schale auf den Boden, Milch schwappte über den Rand, dann folgte ich dem Geräusch, bis ich die Nase fast ans Aquarium gedrückt hatte. Und dort war Samsons Schildkröte, alles andere als tot, und versuchte vergeblich an der Scheibe nach oben zu kriechen.  
    Dann hat die Schildkröte also doch Winterschlaf gehalten, dachte ich. Ich wusste, dass Samson sich freuen würde – soweit sich so ein Grübelwesen eben freuen kann. Aber wieso war die Schildkröte just in diesem Moment aufgewacht: in der Morgendämmerung meines wichtigen Geburtstags, während ich im Nachthemd dasaß und eine Schale Cornflakes auf dem Knie balancierte? Ich beobachtete die Schildkröte und tippte an die Scheibe. Ich dachte an die Schildkröte und daran, wie Gypsy, ganz gegen ihre Gewohnheit, aufgewacht war, als ich aus dem Bett gestiegen war, und da nistete sich ein wankender Verdacht in meinem Innern ein, er hielt sich den ganzen Morgen und breitete sich aus wie der Rauch eines Grasbrandes.  
    Um zwei Uhr quetschten wir uns alle in Miss Rosemarys Wagen, um nach Hebron zur Kirche zu fahren. Fish und ich halfen Opa auf den Beifahrersitz, halfen ihm beim Anschnallen und schauten nach, ob das Autoradio auch ausgeschaltet war. Seit Oma Dollop gestorben war, machte es Opa immer traurig, Radio zu hören.  
    Als Opa bequem saß, ging Fish noch mal ins Haus, um Samson zu suchen und ihn von seinem jetzt aktiven, doch-nicht-toten Haustier zu trennen. Miss Rosemary und ich kämpften mit Gypsys Kindersitz, während die Jungs einstiegen. Ich trug mein neues Festtagskleid, das Poppa in einem großen Kaufhaus in Salina ganz allein für mich ausgesucht hatte.  
    »Ich dachte mir, mein kleines Mädchen hat zu ihrem besonderen Geburtstag etwas Schönes, Neues verdient«, hatte er an dem Abend gesagt und mir eine große weiße Schachtel überreicht, die mit einem dünnen, runden, dehnbaren Goldband zusammengebunden war. Das Kleid in der Schachtel war zartgelb, es hatte eine hoch angesetzte Taille und einen Tellerrock mit tiefen Taschen. Zwei Reihen weiße Zackenlitzen säumten den Rock und die Puffärmel. Aber das Beste an dem Kleid war die große lila Blume aus weichen Seidenbändern, die wie ein Anstecksträußchen oben an der Schulter aufgenäht war.  
    »Ich verstehe nicht allzu viel von Kleidern«, gestand er. »Aber ich wollte trotzdem nicht aufgeben. Ich habe das Geschäft erst verlassen, als ich mir sicher war, dass ich genau das Richtige gefunden hatte.« Ich stellte mir meinen Poppa vor, wie er durch das Kaufhaus wanderte und ein vollkommenes Kleid für mich suchte, und lächelte.  
    Unser Poppa hatte
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