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Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition)
Autoren: Ingrid Law
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keinen Schimmer und keine Haare auf dem Kopf. Trotzdem war Poppa ganz besonders: Er war lieb und gut und hatte wilde schwarze Augenbrauen, die sich zwirbelten wie tanzende Käferbeine, und er hatte ein verblichenes Tattoo aus seiner Navy-Zeit – eine Meerjungfrau mit langem Haar, die sich auf seinem Unterarm um einen Anker schlang, genau über Poppas schwerer silberner Uhr. Wochentags, wenn Poppa in dem Betonbau in Salina arbeitete, hielt er die Meerjungfrau gut versteckt unter feschen weißen Hemdsärmeln. Doch wenn er abends nach Hause kam, hatte er die Ärmel hochgekrempelt und die Meerjungfrau zeigte ihr Lächeln. Es störte uns gar nicht, dass Poppa keinen Schimmer hatte, und ihn störte es nicht, dass der Rest der Familie einen hatte … oder noch bekommen würde.  
    An dem Abend, als er mir das Kleid schenkte, war er zum letzten Mal aus Salina zu uns nach Hause gekommen, es war das letzte Mal, dass wir alle zusammen waren.  
    »Gefällt es dir denn?«, hatte Poppa gefragt und sich mit den Fingerknöcheln das Kinn gerieben, während er mir zusah, wie ich das Kleid aus der Schachtel nahm.  
    »Es ist wunderschön, Poppa!«, sagte ich und tanzte mit dem Kleid in den Armen zweimal durchs Wohnzimmer, bevor ich ihm um den Hals fiel. »Vielen Dank!«  
    Ich wusste, dass ich den besten Poppa der Welt hatte, und ich wusste, dass jeder, der Augen im Kopf hatte, sehen konnte, dass mein Kleid ein Festtagskleid war – auch wenn das Fest selbst nicht so werden würde wie geplant.  
    Als ich in den Wagen stieg, sah ich, wie Miss Rosemary auf die große lila Blume an meiner Schulter schaute. Bestimmt hätte sie auch gern so ein Kleid gehabt wie ich. Sie trug immer gerade und hochgeschlossene Kleidung.  
    Als wir uns alle in den Wagen gezwängt hatten, rumpelten und pumpelten wir über die Holperstraße zum Highway und fuhren zu der Kirche, in der meine ungebetene Geburtstagsfeier stattfinden sollte. Ich tat so, als bemerkte ich nicht, dass Fish und Opa mich so anschauten, als wäre ich eine Art Sprengstoff, der bei dem nächsten Ruckeln oder Rumsen des Wagens explodieren könnte. Bis jetzt war noch nichts davon zu spüren, dass mich irgendwas Spektakuläres, Markerschütterndes gepackt und mir verraten hätte, was mein Schimmer sein könnte, so wie es damals bei meinen Brüdern war; ich wusste, dass mein Schimmer etwas ruhiger, weniger weltbewegend sein würde – dafür aber einer, der Poppa viel besser helfen konnte.  
    Als Momma am Morgen angerufen und mir zum Geburtstag gratuliert hatte, da hatte ich gefragt: »Hast du ihn geküsst, Momma?«
    »Ja, Mibs. Ich habe Poppa geküsst«, sagte sie leise.  
    »Ist er aufgewacht?«  
    Momma atmete lange und langsam aus, als sänge sie den letzten Ton eines Schlaflieds, und es brach mir fast das Herz, so traurig klang es. »Nein, Liebes«, sagte sie schließlich. »Poppa ist nicht aufgewacht. Jedenfalls noch nicht. Die Ärzte sagen … na ja, sie sagen, wir müssen abwarten.« Nach Mommas Anruf wusste ich genau, was ich zu tun hatte – ich wusste nur noch nicht genau, wie ich es anstellen sollte.  
    Als wir bei der Kirche ankamen, merkte ich schon bald, dass Gott auf Miss Rosemary besser hörte als auf mich. Der Parkplatz war voll, überall wimmelte es von Kindern. Das war nicht nur eine kleine Feier. Es war ein Riesentamtam.  
    Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, dass Samson verschwand, noch ehe der Wagen richtig hielt, denn als wir ausstiegen, war er schon weg. Er würde irgendwann wiederauftauchen, nach mehreren Stunden in irgendeinem staubigen Schlupfloch, unter der Orgel oder bei den Mopps in der Besenkammer. Opa Bomba kaute nur auf seiner Wange und murmelte kopfschüttelnd vor sich hin, als Miss Rosemary ihn und Gypsy zur Kirche führte, vorbei an einem Bus, der so rosa war wie Gypsys Fußsohlen und Reklame für den Heartland-Bibel-Lieferdienst machte.  
    Kaum hatte Miss Rosemary uns den Rücken zugedreht, packte Fish mich am Arm und führte mich weg von dem rosa Bus, weg von der Kirche.  
    »Mibs, du kannst das hier nicht machen«, sagte Fish mit einem Windstoß, der mich traf wie ein Schlag. »Du kannst hier heute nicht sein. Es ist zu riskant, das weißt du.«  
    »Das geht in Ordnung«, versicherte ich ihm. »Ich weiß schon, was mein Schimmer ist, Fish, und er tut keinem weh. Im Gegenteil …«  
    »Du weißt es?« Fish ließ mich gar nicht ausreden. Er packte mich noch fester am Arm. Die Panik meines Bruders und die
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