Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schiffe versenken

Schiffe versenken

Titel: Schiffe versenken
Autoren: Mark Chisnell
Vom Netzwerk:
Ein Auseinanderbrechen oder Kentern der Shawould war gleichermaßen wahrscheinlich.
    Rechter Hand sah er die Leiter zur Brückennock, von wo die Nachtbeleuchtung der Brücke zu ihm hinunterschimmerte. Unter ihm leuchteten grelle, weiße Lampen auf, und dort war einiges los. Eines der bordeigenen Ladegeschirre hievte Kisten aus dem Laderaum. Doch der Niedergang zu seiner Linken war unbeleuchtet und führte zu einer Leiter auf das Deck, wo die Schiffsoffiziere ihre Unterkünfte hatten. Hamnet kroch vorsichtig im Schatten der Scheinwerfer auf dem Ladedeck vorwärts und kletterte dann nach oben, während sich immer wieder Rostfladen unter seinem Griff lösten.
    Je höher er kam, umso besser konnte er das Ladedeck überblicken. Ein Leichter machte gerade in Lee der Shawould fest, deren Abdeckungen des mittleren Laderaums offen standen und wo mehrere Männer die Kisten mit den Maschinenteilen aus Nummer drei im Zwischendeck auszuladen begannen. Der Regen rauschte über die Szene hinweg, doch im hellen Schein der Decksbeleuchtung zählte Hamnet vierzehn bewaffnete Piraten, die meisten offensichtlich Einheimische und ein paar Weiße, die allem Anschein nach das Unternehmen leiteten. Er brauchte eine Weile, um das auszumachen, was ihm als Erstes hätte auffallen sollen: Direkt unter dem Hauptladegeschirr war seine Crew versammelt. Eng zusammengedrängt standen die Männer dort unter vorgehaltenen Waffen: einige voller Verzweiflung, andere voll trotziger Missachtung und manche von jeder Hoffnung verlassen. Alle waren nass bis auf die Haut; der Regen floss oben in ihre Klamotten und unten wieder heraus. Hamnet drückte sich gegen die Leiter, um in ihrem Schatten Schutz zu suchen, und zählte: elf. Sie waren also vollzählig. Und dann sah er Anna! Das leichte Kleid klebte ihr am Körper, sie war barfuß, und die Haare trieften vor Nässe. Hamnet presste den Kopf seitwärts an eine Sprosse und starrte in die Regennacht.
    Drei Meter über ihm begann plötzlich der Lautsprecher zu knistern und holte ihn aus seiner Qual. Wegen der Windböen konnte er nur ein paar Wortfetzen verstehen, der Rest wurde davongeweht. »Hamnet! Hör genau zu! Gib auf, oder deine Crew wird sterben! In drei Minuten kill ich deinen Ersten! Und dann den Rest, einen nach dem anderen, alle drei Minuten einen. Aber du kannst es verhindern. Stell dich, Hamnet, und keinem passiert was!«
    Hamnet rutschte auf der Leiter aus, als die Angst wieder in ihm hochkroch. Welchen Vorteil konnte er rausschlagen, wenn er sich stellte, obwohl die Kerle sowieso alle umbringen wollten? Welche Möglichkeiten hatte er in nur drei Minuten? Oder in sechs oder neun? Wie viele seiner Männer müssten sterben, damit er den Rest retten konnte? Falls er überhaupt jemanden retten konnte! Die Sekunden vergingen. Er war in seiner Qual wie gelähmt – die Qual der Erinnerungen an seine früheren Niederlagen. Aber er musste weiter. Wollte er nicht ganz und gar kapitulieren, dann musste er jetzt etwas unternehmen. Wieder schaute er nach oben. Das Brückenschott war zwar wegen des Sturms geschlossen, doch er konnte erkennen, dass er sich ohne Probleme nach einem Aufschwung auf die Brückennock schieben konnte. Also schwang er sich oben über den Metallrand, blieb eng an die Wand gedrückt möglichst dicht am Boden und schob sich dann Zentimeter für Zentimeter auf das Schott zu. Mit Sicherheit hatten die Piraten jemanden auf der Brücke postiert – sie konnten sie nicht einfach unbesetzt lassen –, und sobald er die Tür aufstieß, würde ihn der Windstoß sofort verraten.
    Wieder begann der Lautsprecher zu knistern, es folgte ein schrilles Pfeifen, dann drohte die Stimme: »Noch eine Minute, Hamnet!«
    Von seinem Platz aus hatte Hamnet einen guten Überblick: Regen und Wind tobten über die auf dem Ladedeck zusammengedrängte Mannschaft hinweg. Einer der Piraten schob sich in die Gruppe und zerrte Richardson heraus, der zusammengekrümmt vor den anderen stand und einen Schuh verloren hatte. Ein armseliger Mann von großer Statur, dessen Hemdzipfel im Wind flatterte. Die Arme hingen kraftlos herunter.
    Jetzt setzte der Pirat dem Ersten der Shawould seine Waffe an die Schläfe. »Dreißig Sekunden. Stell dich, Hamnet, und keinem passiert was!«
    Hamnet schlug die Hände vors Gesicht, er konnte nicht eingreifen. Den Schuss hörte er nicht; alle Geräusche wurden vom Wind in die andere Richtung getragen und im Regen erstickt. Er starrte auf das Wasser, das ihm über die Hände lief. Dann stieg
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher