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Schieß, wenn du kannst Kommissar Morry

Schieß, wenn du kannst Kommissar Morry

Titel: Schieß, wenn du kannst Kommissar Morry
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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zwanzig Jahren verlassenen Haus, das tagsüber den Jungens als willkommener Spielplatz dient . . .
    Der Konstabler blieb stehen, unmittelbar vor der Ruine. Nur ein halb zerbrochener Zaun und ein Streifen Vorgarten trennten ihn von dem dunklen Haus. Nachdenklich blickte er an den verwitterten Mauern in die Höhe und einen Moment dünkte es dem erschreckten Crane, als hätten sich ihre Blicke plötzlich gekreuzt und gefunden . . .
    Er kann mich ja gar nicht sehen, überlegte Crane. Dennoch spürte er das Jagen seines Pulses.
    Der Konstabler betrachtete die zerbrochene Fassade und die Fensterhöhlungen, die wie tote Augen wirkten, und er spürte das leise Erschauern, das er immer empfand, wenn ihn seine Dienststunde hier vorbei führte. Er erinnerte sich genau, wie damals in Addington eine einzelne Bombe gefallen war und ausgerechnet das Haus der Creaseys getroffen hatte. Der alte Creasey und seine Frau, die wohl einflußreichsten Leute dieses vornehmen Außenbezirkes von London, waren nur noch als kaum identifizierbare Leichen gefunden worden. Von der damals zweijährigen Pamela Creasey hatte man überhaupt nichts mehr entdeckt.
    Es war ein Glück gewesen, daß sich die Dienerschaft in jener Nacht außerhalb Londons aufgehalten hatte, sonst wäre sicher auch sie ein Opfer der Bombe geworden. Der Konstabler seufzte und rückte seinen Helm zurecht. Es gab Leute, die steif und fest behaupteten, daß die jetzt schon erwachsene Pamela zu mitternächtlicher Stunde in dem ausgebrannten Haus spuke . . .
    „Blödsinn!" murmelte der Konstabler und setzte seine Runde fort.
    Ray Crane entspannte sich etwas und nahm die Zigarette wieder zwischen die Lippen. Er nahm sich vor, das Haus spätestens gegen sieben Uhr zu verlassen. Da war es hell und niemand würde ihm Beachtung schenken. Außerdem war es leicht, in dieser einsamen, etwas abseitsliegenden Villenstraße ungesehen aus der Ruine zu huschen.
    Es war ein Glück, daß es so unendlich viele Häuser dieser Art in London gab.
    Aber tagsüber, wenn sich die Jugend in den Ruinen vergnügte, war es zu gefährlich für ihn, in seinen welchselnden Verstecken zu bleiben. Natürlich war es nicht weniger riskant, durch die Straßen zu streifen und hier oder dort ein Lokal aufzusuchen . . .
    Aber, was zum Teufel, sollte er sonst tun? Crane spürte die lastende Müdigkeit in seinen Knochen, aber es widerstrebte ihm, sich erneut auf den schmutzigen Holzboden zu legen. Er hob den Blick und sah die bleiche, ausdruckslose Scheibe des Mondes. Er hing wie ein billiges Filmrequisiit hinter einem Mauerloch. Plötzlich schien es Crane, als höre er ein Schluchzen, ganz kurz und halb erstickt.
    Dann war alles ruhig.
    Er stand völlig unbeweglich. Nur das Herz kompensierte diesen plötzlichen Mangel an Bewegung durch ein Stakkato wilder Schläge. Ich bin übergeschnappt, dachte er. Meine Nerven sind überreizt und spielen mir einen Streich. So geht es einem, wenn man übernächtigt ist. Man sieht drohende, bizarre Schatten und glaubt die verrücktesten Sachen zu hören. Visionen eines Mannes, auf den der Henker wartet . . .
    Er nahm einen weiteren Zug aus der Zigarette und ertappte sich dabei, daß seine Muskeln bis zum äußersten gespannt waren. Den Kopf hatte er lauschend zur Seite geneigt. Alles blieb ruhig. Er setzte sich auf den Boden und lehnte gegen die Wand. Bevor ich aus dem Haus gehe, muß ich mich gründlich abklopfen, dachte er flüchtig. Ich darf nicht wie ein Landstreicher aussehen. Mein erster Weg wird mich zum Friseur führen . . .
    ,Rasieren, bitte . . .!'
    Die verdammten Haarschneider. Sie sind voll gesprächiger Neugier. Es ist schwer, ihre bohrenden Fragen schlagfertig zu beantworten.
    Immer muß man daran denken, daß sie eines der verdammten Fotos in den Zeitungen gesehen haben könnten . . .
    Ray drückte die Zigarette aus. Ray Crane, reicher, gesuchter und hoch angesehener Architekt, des Mordes angeklagt . . .
    Sie wollen mich fertigmachen, überlegte er. Alle Indizien sprechen gegen mich. Ich habe keine Chance gegen sie. Sie wollen mich dem Henker ausliefern. Futter für die Klatschspalten der Sensationsblätter...
    Er fror wieder stärker. Ich muß aus England verschwinden, murmelte er. Ich habe keine Lust, den Kopf in die Schlinge zu stecken. Ich will nicht, daß ein paar Dutzend alter, rührseliger Tanten vor dem Old Bailey Gefängnis demonstrieren und schäbige, mitleiderregende Plakate mit sich herumschleppen: GNADE FUER CRANE!
    Niemand würde auf die alten Tanten
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