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Schieß, wenn du kannst Kommissar Morry

Schieß, wenn du kannst Kommissar Morry

Titel: Schieß, wenn du kannst Kommissar Morry
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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und den dunklen Hut tief in die Stirn gezogen hatte.
    Er lief leicht vornüber gebeugt, als wäre ihm seine Körpergröße lästig. Dabei bewegte er sich seltsam schnell und lautlos. Er wirkte, als kenne er sein Ziel sehr genau und habe es eilig, ungesehen und ungehört dorthin zu gelangen. Ray Crane erschrak, als der Unbekannte durch die Öffnung des Zaunes schlüpfte und direkt auf die Ruine zulief.
    Sekunden später vernahm Ray, wie der Fremde durch die unteren Räume des Hauses ging. Eine Oeffnung im Fußboden verriet, daß er eine Taschenlampe bei sich trug. Der Lichtkegel huschte gespenstisch durch die kahlen Räume. Gelegentlich stolperte der Fremde über einen Stein und stieß ihn wütend zur Seite. Der Unbekannte führte die Inspektion in größter Hast aus. Schon nach einer halben Minute hörte ihn Ray die Treppe herauf kommen. Ray blickte aus dem Fenster nach unten. Die Entfernung zum Blumenbeet betrug etwa fünf Meter. Wenn er hier hereinkommt, springe ich, dachte er.  
    Ray war überzeugt, daß der Unbekannte kein Polizist war. Aber wen suchte er hier?
    Verfolgte er den Menschen, dessen Stöhnen vorhin so schauerlich durch das Haus geklungen hatte? Der Fremde hatte inzwischen schon zwei Räume im ersten Stockwerk inspiziert. Gerade als er das dritte Zimmer betrat, hielt er jäh inne. Die plötzliche Stille stand im merkwürdigen Gegensatz zu seiner bisherigen Eile und den damit verbundenen Geräuschen. Einen Moment überlegte Ray, ob sich der Mann aus irgendeinem Grund plötzlich entschlossen haben mochte, auf leisen Sohlen weiterzuschleichen.
    Aber noch ehe Ray den Gedanken zu Ende gebracht hatte, hörte er den Fremden schon wieder. Diesmal hastete er noch rascher, als er gekommen war, die Treppe hinab . . .
    Im nächsten Augenblick tauchte er im Garten auf, lang, hager und schwarz, ein dürrer, düsterer Riese, der mit Riesenschritten der Straße zustrebte und verschwand.
    Was hatte er im dritten Zimmer entdeckt? Was hatte den Mann veranlaßt, seinen nächtlichen Besuch so überraschend abzubrechen? Ich muß es in Erfahrung bringen, dachte Ray.
    Er betrat den Korridor und tastete sich auf die bewußte Türöffnung zu. Sein Hals war wie zugeschnürt und er spürte das Rauschen des Blutes in den Schläfen. Aber er ging weiter, Schritt für Schritt, und fest entschlossen, das Geheimnis des Hauses zu lüften.
    Er hatte das Gebäude in der Abenddämmerung betreten und kannte fast alle Räume. Er wußte, daß das Zimmer, dem er sich jetzt näherte, kaum noch eine Decke besaß. Das Mondlicht konnte also ungehindert einströmen. Es mußte ziemlich hell in dem Raum sein.
    Ray Crane atmete so laut und heftig, daß er einen Moment stehenblieb, um sich zu beruhigen. Dann tastete er sich weiter. Als er den Türrahmen erreicht hatte und, flach mit dem Rücken an die Wand gepreßt, die Arme wie ein Gekreuzigter an das Mauerwerk legte, den Kopf nach vorn schob, um in das Innere des Raumes zu blicken, arbeitete sein Herz wie ein tanzender, unbarmherziger Knüppel. Dann fielen seine Arme herab, ohne daß er es merkte.
    Er wußte plötzlich, daß er sich vor keinem Menschen mehr zu fürchten brauchte.
    Wenigstens nicht vor einem Lebenden, und ganz gewiß nicht in dieser Stunde.
    Er trat nach vorn und überblickte jetzt den ganzen Raum. Die Tote bildete eine reglose, schwarze Silhouette vor dem hellen Rechteck des Fensters. Sie hatte sich an einem der Deckenbalken aufgeknüpft. Unter ihr lag ein alter, umgestürzter und halb zerbrochener Tisch, den sie benutzt hatte, um den Strick zu befestigen.
    Ray Crane trat zögernd näher. Ein blasser Mondstrahl beleuchtete die Züge der Toten.
    Es war eine ältere Frau, etwa um die Fünfzig herum. Sie war weder schön noch häßlich. Das Gesicht war rund und leicht faltig. Es mochte zu Lebzeiten sympathisch und angenehm gewesen sein, jetzt aber hatte die grausige Starre des Todes dies alles ausgewischt.
    Die Frau war einfach, aber keineswegs schäbig gekleidet. Ihr blauer Sommermantel war mit einem Gürtel verknotet. Der Mantel war aus gutem Stoff. Die Tote trug schwarze Schuhe mit flachen Absätzen. Die Füße hingen mit den Spitzen weit nach außen, und Ray vermochte sich vorzustellen, welchen Gang die Frau gehabt hatte.
    Wahrscheinlich eine Ehetragödie, dachte Ray.
    Sie hatte vermutlich Depressionen gehabt. Wahrscheinlich wohnte sie irgendwo in der Nähe und hatte gelegentlich davon gesprochen, sich eines Nachts in dieser Ruine zu erhängen. Als ihr Mann sie dann nach einem
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