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Lasst uns froh und grausig sein

Lasst uns froh und grausig sein

Titel: Lasst uns froh und grausig sein
Autoren: Friederike Schmöe
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23. Dezember
    16 Uhr 30
    Katinka Palfys Zielobjekt saß nun schon über eine Stunde vor einem Glas Kellerbier und glotzte auf den Fernsehschirm. Irgendein amerikanischer Sportkanal übertrug ein Eishockeyspiel. Walt Meier schien in das Match vollkommen versunken. Er zeigte keine Anzeichen von Nervosität. Obwohl der Gastraum grauenvoll überheizt war, hatte er seinen Mantel nicht abgelegt. Unter dem dicken schwarzen Stoff lugte ein weißer Pullover hervor. Vor ihm auf dem Tisch lag ein echter englischer Bowler. Katinka begann zu zweifeln, ob Walt der Richtige war.
    »Möchten Sie noch was?«
    »Wie – schließen Sie?«
    »Ach wo!« Die Chefin lachte. An ihrem Pulli steckte eine selbstgebastelte Holzbrosche mit ihrem Namen in Großbuchstaben drauf: NORA. »Ich muss nur eine kurze Besorgung machen. Sie sehen ja: Ich bin allein, habe den Umbau am Hals, die Küche, den Service …« Mit einer geübten Bewegung fasste Nora ihre dicken, langen Locken im Nacken zusammen und steckte sie fest.
    »Sie erwarten aber jetzt nicht, dass ich die nächsten paar Biere zapfe, oder?« Katinka wäre niemals auf die Idee gekommen, die heruntergekommene Kneipe zu betreten, wenn ihr aktueller Auftrag sie nicht hergeführt hätte. Der Club duckte sich in eine schmale Ausbuchtung des Oberen Kaulbergs. Hier wurde ständig umgebaut, renoviert, saniert. Dazu passte, dass nun auch dieser Ex-Boxclub, der lange leergestanden hatte, zu neuem Leben erweckt wurde. Wo einst der Boxring die Bühne für dramatische Kämpfe abgegeben hatte, standen die Tische und Stühle. Die schmale Tribüne an der Stirnseite lag unangetastet im Schatten, die Zugänge waren abgesperrt durch eine simple Kordel. Statt der Zuschauerränge am langen Ende ragte nun eine Theke in den Raum; der hintere Bereich war abgetrennt und zur Küche umfunktioniert worden. Der Gang, der zu den ehemaligen Umkleiden führte, wo sich heute die Toiletten befanden, war mit Postern und Autogrammkarten alter Boxstars gepflastert, deren starke Zeit mindestens 40 Jahre zurücklag. Die Eingangstür war von einem schweren Vorhang verhängt, um die Zugluft unter Kontrolle zu halten.
    »Dauert echt nicht lange.« Nora nickte lächelnd. »Die Lasagne schmort im Herd, alles im grünen Bereich. Ich bin ja ganz flott zurück.«
    Katinka zuckte die Achseln. Sie hatte sich ein alkoholfreies Bier bestellt und wartete auf bessere Zeiten. Privatdetektivin zu sein brachte es mit sich, dass man am 23. Dezember gegen Spätnachmittag in einem ungemütlichen Boxclub herumhing, krude Weihnachtsdeko ertrug und sich die Langeweile vertrieb. Immerhin klappte das mit dem neuen iPad ganz gut. Sie hatte längst nicht alle seine Funktionen durchprobiert. Praktischerweise konnte sie nun bequem ihre E-Mails an allen Ecken und Enden beantworten, twittern und zwischendrin ein E-Book lesen. Der Segen der neuen Zeit, dachte sie und vertiefte sich in die Aufzeichnungen, die sie von ihrem Kunden, einem Galeristen aus der Sandstraße, erhalten hatte. Vitus Carl hatte seinen Auftrag, Walt Meier zu observieren, so begründet:
    Walt Meier – ein Künstler, Spintisierer, irgendwie genial. Aber ein mieser kleiner Betrüger ist er auch. Ich bin sicher, dass er Skizzen aus dem Nachlass von Trude Nüsslein als seine eigenen ausgibt. Sein und ihr Stil sind vergleichbar, das ungeübte Auge sieht die Unterschiede nicht. Meier hat mir Probe-Skizzen zukommen lassen. Hat angeblich gerade eine super Schaffensphase. Ich sollte mich auf mehr gefasst machen. Durchtriebener Knabe. Beobachten Sie ihn.
    Katinka klickte die Mail weg. Walt Meier sah ziemlich durchschnittlich aus. Nicht wie ein Künstler. Eher wie einer, der nicht wusste, was er an Weihnachten machen sollte. Behäbig, korpulent, unsportlich.
     
    16 Uhr 52
    »’n Abend.« Ein Mann kam herein, auf dem Kopf eine Mütze mit Ohrenklappen. »Ja – Mensch!« Er stürmte an Katinkas Tisch. »Ich habe Sie ja ewig nicht gesehen!«
    »Halten Sie bloß die Klappe!«, zischte Katinka ihn an. Das fehlte ihr noch, dass einer das Wort ›Privatdetektivin‹ in den Mund nahm, so dass Walt Meier es hören konnte.
    »Was’n los?« Dante Wischnewski, inzwischen ständiges Redaktionsmitglied beim Fränkischen Tag und Quälgeist vom Dienst, riss sich die Mütze vom Kopf und setzte sich Katinka gegenüber. Sein Kopf wurde immer kahler, bedeckt nur von einer dünnen Schicht blondem Flaum. Seine Augen sprühten vor Neugier.
    »Wenn Sie was bestellen wollen, die Chefin ist grad mal weg!« Sie beugte sich
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