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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Arbeitszimmer betrat. »Gehen Sie schlafen … Sie haben morgen noch allerlei zu tun und müssen ausgeschlafen sein …«
    Er schloß die Tür hinter sich ab und lehnte sich an die Wand. Über sein eingefallenes, bleiches Gesicht zog ein Zucken. Dann ging er zu dem kleinen Wandtresor, der hinter einem echten Monet lag, schob das Bild zur Seite und öffnete die kleine Stahltür. Der Tresor war leer. Nur auf der unteren Ablage, auf einer Glasschale, lag ein kleines Päckchen, fest umschnürt. Ein Schild war auf das Papier geklebt, gewissenhaft wie in einem Magazin.
    Chiquaqua.
    Gerholdt nahm das Päckchen aus dem Tresor, verschloß ihn wieder und wickelte es aus. Eine kleine Dose kam zum Vorschein, eine Dose mit einem weißen, geruchlosen Pulver.
    Gerholdt setzte sich. Das Gespräch mit dem Vertreter aus Südamerika kam ihm wieder zum Bewußtsein. ›Es lähmt langsam die einzelnen Körperfunktionen und zersetzt das Blut. Es wird wie Wasser. Es ist, als fresse das Gift die roten Blutkörperchen auf. Passen Sie gut auf das Gift auf … es gibt dagegen keine Heilung oder ein Antitoxin! Sie sind rettungslos verloren, wenn Sie nur eine Fingerspitze davon nehmen. Sie werden sich innerlich langsam auflösen …‹
    Auflösen … vergehen … sich aus dieser Welt schleichen, die so herrlich war und so gemein, die ihm alles schenkte und der er alles nahm … die Achtung, die Ehre, die Liebe, das Vertrauen, den Glauben und das Gewissen.
    Er stand auf und ging an seinen Schreibtisch. Aber er klappte die schon aufgeschlossene Schreibmappe wieder zu. Wozu einen Abschiedsbrief? Sein letztes Wort waren nicht Buchstaben auf einem weißen Papier, sondern seine Werke am Rhein, dieses Haus, seine Bankkonten in aller Welt, der Name seiner Erzeugnisse, die das ›made in Germany‹ in die letzten Winkel trugen … das war sein letztes Wort, es war eine Sprache, die nie verstummte und die für alle Zeiten seinen Namen nannte, ihn unvergeßlicher werden ließ als ein Brief, der einmal zerknittert und weggeworfen wird.
    Aus der Wandbar nahm er ein Glas. Er wählte es sorgsam aus … ein goldgelbes Glas. In ihm war der Wein wie eingefangene Sonne. Er lächelte wieder vor sich hin. Ein Sterben mit Luxus! Vor dreiundzwanzig Jahren hätte er sich in eine Ecke des Hamburger Hafens gelegt und wäre verreckt wie ein räudiger Hund. Heute wählte er ein goldgelbes Glas aus einer spiegelnden Wandbar mit geschliffenen Kristallflächen.
    In dieses Glas goß er einen schweren Bordeaux. Château du Papillon, stand auf dem Etikett. Schmetterlings-Schloß.
    Es war ein schöner Sommertag, als er mit Rita über die Wege des Schmetterlings-Schlosses ging. Sie trug ein weißes Nylonkleid mit großen, blaßrosa Blüten. Durch ihre langen, blonden Locken hatte sie ein Chiffontuch geknotet … rosa wie die Blüten auf dem Kleid. Und Schuhe trug sie … weiß, mit hohen, bleistiftdünnen Absätzen. Sie trippelte neben ihm durch die Sonne, und er war stolz auf seine Tochter. So unendlich, unwahrscheinlich, verrückt stolz. Er sah die Blicke der jungen Männer ihnen folgen, er sah das frohe Lachen auf den Lippen Ritas … und später, im Weinkeller, schenkte ihr der verliebte Kellermeister drei Flaschen Château du Papillon. Jahrgang 1910! Drei Flaschen, überzogen mit Staub und Spinnweben.
    »Paps!« rief sie übermütig. »Die trinken wir nur bei ganz, ganz besonderen Anlässen: eine, wenn ich mich verliebe, eine, wenn ich mich verlobe, und eine, wenn ich heirate! Es sollen einmalige Flaschen sein –«
    Frank Gerholdt nickte.
    Die erste Flasche, dachte er. Sie ist der Tod. Die zweite das Begräbnis. Die dritte die Wahrheit über Frank Gerholdt. So verändert sich das Leben zwischen zwei Jahren …
    Er trug das Glas mit dem goldenen Wein zurück zum Tisch und setzte sich in den Ledersessel. Nachdem er den Deckel von der kleinen Dose genommen hatte, tauchte er einen Teelöffel in das weiße Pulver und schüttete einen Löffel voll langsam in den Wein.
    Das Pulver schwamm auf der Oberfläche. Dann sank es wie eine weiße Wolke hinunter auf den Boden des Glases, verging dort, wurde farblos und löste sich auf in den Bordeaux des Château du Papillon, Jahrgang 1910. Ein besonders guter, alter Tropfen.
    Frank Gerholdt zögerte. Er nahm das Glas in die Hand und hob es gegen die Deckenlampe. Das gelbe Glas leuchtete … in den Facetten des Kristallschliffes brach sich das Licht in allen Regenbogenfarben. Eine Farbensymphonie um einen Wein, den ein Kenner mit
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