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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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geschlossenen Augen trinkt, in den Geschmack versunken, wie ein Musikenthusiast in eine Melodie.
    Wie Sokrates, dachte Gerholdt plötzlich. Dumm, daran zu denken. Jener starb für die Wahrheit, ich sterbe für ein Verbrechen. Dort war es Mord … hier ist es Gerechtigkeit.
    Gerechtigkeit?
    Und sein bisheriges Leben? Sein Kampf um den Platz an der Sonne? Seine Liebe zu Rita? Wog dies nicht alles auf, was er vorher getan hatte? Gab es im Himmel keine Rechnung, die die schlechten Taten mit den guten aufwog und eine Bilanz zog … so war dein Leben, Frank Gerholdt: Du begannst als ein Lump und endest als Millionär und Schöpfer einer neuen Industrie? Gab es das nicht im Himmel?!
    Gerholdt stellte das Glas wieder auf den Tisch zurück. Eine Welle neuen Mutes überschwemmte ihn. Kampf, dachte er. Jawohl, neuer Kampf, auch gegen Dr. Werner! Man kann dreiundzwanzig gute Jahre nicht aufwiegen gegen eine Stunde Schuftigkeit! Man kann nicht sagen: Dieser Gerholdt ist ein hundsgemeiner Bursche, weil er vor dreiundzwanzig Jahren einmal eine Untat beging! Man muß sagen: Gerholdt – was hast du in den dreiundzwanzig Jahren getan, um diese eine Stunde zu sühnen? Und dann konnte er vor alle Welt hintreten und sagen: Geht den Rhein von Düsseldorf aus hinunter … dort seht ihr eine weiße Villa – sie gehört Gerholdt! Und weiter unterhalb stehen große Werke, Hochöfen, Walzenstraßen, Verladerampen, Kräne, ein gläserner Palast – alles gehört Gerholdt! Und geht hinaus in alle Welt … nach Burma – nach Ägypten – nach Uruguay – nach Liberia – nach Australien – nach Japan –, überall, soweit die Stimme der Menschen reicht, wird man euch sagen: Rheinische Stahlwerke? Aber ja! Und man wird euch zeigen, was in alle Welt ging … Mein Name! Mein Name Gerholdt, der in einer Kriminalakte steht, die dreiundzwanzig Jahre alt ist, verstaubt, vergessen … nur noch lebend in dem Haßgehirn dieses Dr. Werner, weil er Frau v. Buckow heimlich liebte!
    Das Telefon schellte. Gerholdt erhob sich und nahm verwundert den Hörer ab.
    »Ja?«
    »Was tun Sie jetzt, Gerholdt?« Die Stimme Dr. Werners.
    »Ich ziehe eine Bilanz, Dr. Werner.«
    »Eine Schlußbilanz?«
    »Eine Zwischenbilanz.« Gerholdt schaute zurück auf das unter der Lampe stehende, funkelnde Glas. »Und ich temperiere einen guten alten Wein. Einen Bordeaux 1910. Château du Papillon.«
    »Sie Glücklicher. Ich möchte direkt zu Ihnen kommen und diesen Tropfen mit Ihnen trinken.«
    »Er würde Ihnen nicht bekommen, Dr. Werner. Er ist zu schwer. Er geht ins Blut –«
    Dr. Werners Stimme gluckste etwas. Er lachte. Tatsächlich – er lachte. »Na, dann Prost, lieber Gerholdt! Wie gesagt – ich beneide Sie um diesen Tropfen.«
    »Ich lasse Ihnen zwei Flaschen übrig, Dr. Werner.« In Gerholdts Stimme schwang Bitterkeit. »Sie können dann auf mein Wohl anstoßen.«
    »Ich hebe sie auf, bis Sie wieder frei sind, Gerholdt.«
    »Frei?« Gerholdts Stimme nahm einen dunklen, vollen Klang an. »Ich war immer frei, Dr. Werner, und werde auch immer frei bleiben!«
    »Dann nehmen Sie sich den besten Anwalt.«
    Gerholdt blickte wieder auf das leuchtende Glas. »Das habe ich bereits getan. Ich habe soeben mit ihm gesprochen.«
    »Und er verteidigt Sie?«
    »Er garantiert mir die Freiheit.«
    »Ein mutiger Mann.«
    »Ein unbestechlicher, vor allem. Er kennt nur einen geraden Weg. Er kennt nur ein Vorwärts – niemals ein Zurück.«
    »Dann beglückwünsche ich Sie zu Ihrer Wahl, Gerholdt.« Dr. Werners Stimme schwieg. Gerholdt hörte einen merkwürdigen Ton. Jetzt gähnte er, dachte er. »Machen Sie's gut«, sagte Dr. Werner wieder. »Ich bin müde und gehe schlafen. Tun Sie's auch – der morgige Tag wird nicht leicht werden.«
    »Das glaube ich auch. Gute Nacht, Dr. Werner.«
    »Gute Nacht, Gerholdt.«
    Er legte den Hörer auf und atmete laut. Gute Nacht –
    Mit einem harten Griff umfaßte er den Stiel des Glases, hob es empor zum Mund und trank in einem langen Zug den Wein aus. Er schmeckte herrlich, würzig, herb-süß … gekelterte Sonne, eingefangenes Leben, gespeicherte Reife.
    Mit einem Ruck stellte er das Glas zurück auf den Tisch. Er blieb stehen und lauschte nach innen. Rührt sich etwas? Wirkt dieses Chiquaqua? Beginnt das Blut zu kochen, löst es sich auf? Zuckt das Herz nicht? Schwindelt es nicht im Gehirn? Rinnt nicht ein Kribbeln durch das Adersystem, wundert sich das Herz nicht über das Wasser, das es pumpt, statt des Blutes? Und die Lunge? Schweigt sie noch
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