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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sinken und blickte mit hohlen Augen über Frau v. Knörringen hinweg.
    »Keinen Arzt … einen Pfarrer«, sagte er mit dumpfer, leiser Stimme.
    »Einen was?« fragte Frau v. Knörringen ungläubig.
    »Einen Pfarrer. Pastor Willecke. Morgen früh …«
    Er ging an der erstarrten Frau v. Knörringen vorbei in das große Zimmer und setzte sich an die breite Glastür, die hinaus auf die Terrasse führte. Dort starrte er hinüber auf den dunkel in der Nacht fließenden Rhein und auf die wenigen Lichter am jenseitigen Ufer.
    Er saß so eine Stunde, vornübergebeugt, in der Dunkelheit, stumm und leise atmend. Dann erhob er sich und drehte alle Lichter an. Er beleuchtete den Garten durch die Gartenleuchten, er ging im Haus herum und drehte alle Lampen an, er schaltete die Außenbeleuchtung ein, die Garagenzufahrtsrampen, die Vorgartenleuchten … das ganze Haus strahlte rundherum in grellem Licht.
    Dann ging er herum … von Zimmer zu Zimmer, von der Garage durch den Garten über die Terrasse und in die Keller.
    Er nahm Abschied.
    Mit den Händen strich er noch einmal über die Sessel und Bilder. Gemälde alter holländischer Meister, die er auf Kunstauktionen in aller Welt ersteigert hatte und die an sich schon ein riesiges Vermögen darstellten. Er ging von Raum zu Raum, stumm, mit großen Augen, gefolgt von Frau v. Knörringen, die wie sein Schatten hinter ihm herglitt. Er zündete im großen Gartenzimmer den offenen Kamin an und wartete regungslos, bis die Flammen emporzüngelten. Alles betrachtete er noch einmal … sogar an den Rhein ging er hinunter und stellte sich an den Badesteg, von dem Rita so oft an heißen Sommertagen in das Wasser des Stromes gesprungen war. Ihr Jauchzen flatterte dann hell über die weite Wiese hin zur Terrasse, auf der Frank Gerholdt unter dem Sonnenschirm saß, in der Zeitung las oder auch nur ihr zusah, glücklich, ihr ein solch herrliches Leben geschaffen zu haben.
    Vorbei! Alles vorbei! Die Schatten der vergangenen dreiundzwanzig Jahre kehrten wieder. Es gab keinen Millionär Frank Gerholdt mehr, sondern nur noch den gemeinen Kidnapper Gerholdt, der ohne Gewissen und aus Gewinnsucht eine glückliche Familie vernichtete.
    Er stieg vor dem Haus in seinen Wagen und fuhr den Weg zu den Fabriken zurück. Aber er betrat sie nicht mehr … er hielt vor dem großen Einfahrtstor und sah aus dem Wagen hinüber zu den weiten Hallen, aus denen die Walzen dröhnten. Er sah zu den Hochöfen hinauf, zu dem dunkel in der Nacht liegenden Glaspalast seines Verwaltungsgebäudes, zu den Verladebrücken am Rhein, den elektrischen Eisenbahnen, die durch seine Werke fuhren und die Stahlplatten transportierten, zu den Riesenkränen, die wie Finger in den Nachthimmel ragten, als wollten sie die dunklen Wolken herunterreißen.
    Sein Werk! Geboren aus dem Nichts! Kind einer Idee, eines ungeheuren Willens, einer rätselvollen Triebkraft – der Liebe zu Rita.
    Fast eine Stunde sah Frank Gerholdt seine Fabriken an. Im Wagen sitzend, gegen die Polster des Sitzes gedrückt. Eine tiefe Ruhe war über ihn gekommen. Er wußte, daß Rita als Alleinerbin diese Werke weiterführen würde, daß Dr. Schwab immer an ihrer Seite stehen würde und daß vielleicht auch ihr Bruder Fred v. Buckow mithelfen würde, dieses Schicksal aus zweiter Hand zu einem wirklichen echten Lebensschicksal zu machen.
    Langsam fuhr er zurück zu seinem weißen Haus am Rhein. Es leuchtete ihm aus allen Fenstern durch die Nacht entgegen, ein wundervoller Bau, hingeduckt in die Uferwiesen, lang und breit … die moderne Burg eines Millionärs. Gerholdt lächelte leicht. Er ließ den Wagen auf dem Vorplatz stehen und strich mit der Hand noch einmal über den spiegelnden Lack.
    Auf Wiedersehen, mein Alter. Oder nein – Adieu! Es war unsere letzte Fahrt.
    In der geöffneten Tür stand Frau v. Knörringen. Sie sah Gerholdt ratlos an. Nie in ihrem siebzigjährigen Leben war sie ratlos gewesen wie heute.
    »Ich habe dem Herrn Pastor Bescheid gesagt. Er wird morgen kommen. Er wollte wissen, warum.«
    »Und was haben Sie ihm gesagt?«
    »Die Wahrheit. Sie wären heute so komisch –«
    »Komisch.« Gerholdt legte seine Hand auf die Schulter Frau v. Knörringens. Er spürte durch den Stoff ihres dicken Morgenmantels, wie sie zitterte. »Haben Sie sich nicht umgesehen, als Sie Angerburg verließen?«
    »Es war ein Abschied für immer, Herr Gerholdt.«
    »Für immer – das ist es …« Er ging an ihr vorbei ins Haus und wandte sich zu ihr um, bevor er sein
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